Im Zeichen der Sechs
ihn an; schließlich zeigte einer von ihnen auf die Uhrtasche an seiner Weste.
Dante schaute an sich herunter und sah, daß er gekleidet war wie sie, wie ein reisender Geschäftsmann. Er schob eine Hand in seine Westentasche, holte eine Uhr hervor und klappte sie auf.
Zwei Uhr fünfzehn.
Er steckte die Uhr wieder ein. Fühlte ein dumpfes Pochen in der linken Armbeuge, erinnerte sich an das Brandmal, das sie ihm dort angebracht hatten, und beschloß, die Stelle nicht zu berühren oder sie darauf aufmerksam zu machen: Wer konnte wissen, was sie sonst noch mit ihm anstellen würden?
Wieso konnte er sich nach dem sengenden Schmerz dieser Augenblicke an nichts mehr erinnern? Hände, die ihn auf dem Tisch festgehalten hatten. Fredericks Gesicht drohend über ihm, seine sanften, hypnotischen Worte. Er war offenbar ohnmächtig geworden, aber seitdem waren mehr als zwölf Stunden vergangen. Hatten sie ihm eine Droge gegeben, die alles andere in seiner Erinnerung gelöscht hatte?
Gern hätte er ihnen hundert Fragen gestellt, aber die Angst ließ ihn schweigen. Und ganz unerwartet wuchs etwas anderes in ihm empor: das Gefühl der Verwandtschaft mit diesen Männern. Dante hatte die Male an ihren Armen gesehen; offensichtlich hatten sie alle erlebt, was er letzte Nacht durchgemacht hatte – das Leiden und das Grauen dieser alptraumhaften Initiation. Es einte sie auf eine Weise, die mehr bedeutete als Freundschaft. Freunde brauchte er nicht, hatte er noch nie gebraucht.
Bruderschaft, das war etwas ganz anderes.
Was hatte Frederick gesagt?
Eine Armee. Diese drei hier waren Soldaten, wie er früher einer gewesen war und wie er jetzt wieder einer war.
Kämpfende Männer. Der Gedanke gefiel ihm immer besser.
Und was hatte er an der regulären Armee am meisten verabscheut? Das Geschwätz, die kleinkarierten Klagen, die Faulheit des durchschnittlichen Freiwilligen, seine Dummheit, den Mangel an Disziplin. Jegliches Verhalten, das ablenkte von dem, was er für ihre eigentliche Aufgabe hielt: vom Töten.
Das alles schien bei diesen Männern kein Problem zu sein. Dante spürte, wie er sich entspannte. Vielleicht hatte Frederick recht. Vielleicht paßte er genau dort hin.
Die Tür öffnete sich; die beiden Männer, die ihm am nächsten saßen, standen auf und gingen hinaus, als Frederick hereinkam und sich auf den Platz Dante gegenüber setzte. Beim Anblick seines wohlgeformten, lächelnden Gesichts erstarrte Dante von neuem; sein Herz begann zu rasen, und seine Hände wurden feucht.
»Wie fühlen Sie sich?« fragte Frederick freundlich.
»Okay«, sagte Dante. »Wirklich gut.«
»Irgendwelche Beschwerden?«
Dante schüttelte den Kopf.
»Irgendwelche … Bedenken?«
»Nein, Sir.«
Frederick starrte ihn an, bis Dante die Augen niederschlagen mußte. Frederick legte ihm freundschaftlich die Hand aufs Knie und tätschelte es vertraulich. Dante wurde rot, blickte zu ihm auf und grinste.
»Sie werden vorzüglich zurechtkommen«, sagte Frederick. »Bei Ihrem Hintergrund dürfte die Ausbildung ein Kinderspiel sein.«
»Ausbildung?«
»Dürfte auch nicht lange dauern. Sie haben schon früher Männer geführt. Vielleicht sind Sie sogar Offiziersmaterial.«
»Wie Sie meinen.«
Frederick lehnte sich zurück und musterte ihn. »Hungrig, Mr. Scruggs?«
»Jawohl, Sir«, sagte Dante und merkte erst jetzt, daß er es war. »Sehr hungrig.«
Frederick machte eine Geste. Der Mann, der im Abteil geblieben war, nahm einen Korb aus dem Gepäcknetz, stellte ihn neben Dante auf den Sitz und klappte ihn auf. Zum Vorschein kam eine Auswahl an Sandwiches, Früchten und Getränken, die ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ.
»Wir achten auf unsere Ernährung«, sagte Frederick. »Gutes Essen. Nahrhaft und ausgewogen. Alkohol ist nicht. erlaubt.«
»Ich trinke sowieso nicht«, sagte Dante.
»Das ist schön. Eine Armee marschiert mit dem Magen; ist es nicht so, Mr. Scruggs? Bedienen Sie sich.«
Dante konnte sich kaum erinnern, je einen solchen Heißhunger gehabt zu haben; er vertilgte wortlos drei Sandwiches, die er mit zwei Flaschen Ginger Ale herunterspülte, und wischte sich zwischendurch den Mund mit dem Ärmel seiner neuen Jacke ab, schamlos wie ein verhungernder Hund.
Frederick hatte sich auf seinem Sitz zurückgelehnt, die Hände säuberlich gefaltet, und beobachtete Dante beim Essen; ein verschlagenes Lächeln spielte auf seinen kraftvollen Zügen.
Als Dante fertig war und dröhnend rülpste, stellte der dritte Mann den
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