Im Zeichen der Sechs
hochgewachsene Frau, die einzige ohne Gewehr – sie trug aber zwei Revolver im Halfter und eine Pfeife um den Hals –, trat an das Tor und sprach mit Rymer, der im ersten Wagen saß.
»Willkommen in The New City, Freund«, sagte sie laut mit fröhlicher, klarer Stimme. »Was haben Sie heute bei uns zu schaffen, bitte?«
»Wir sind das Ultimative Tournee-Theater«, sagte Bendigo und grüßte schwungvoll mit seinem Tirolerhut. »Vagabunden der Bühne. Gekommen, euch zu unterhalten, zu belustigen und – so hofft man in aller Demut – zu gefallen.«
Die Frau lächelte ihn an. »Einen Augenblick bitte.«
Sie öffnete eine Ledermappe, die sie bei sich trug, überprüfte eine Liste und fand anscheinend einen entsprechenden Eintrag.
»Und Ihr Name, Sir?«
»Ich bin Bendigo Rymer, der Direktor unserer fröhlichen Schar – ganz zu Ihren Diensten, Madame.«
»Wie viele gehören zu Ihrer Gesellschaft, Mr. Rymer?«
»Wir sind siebzehn – äh, neunzehn, alles in allem.«
»Ich danke Ihnen, Sir; Sie werden erwartet.« Sie klappte ihr Buch zu. »Wir werden einen Blick in Ihre Wagen werfen und dann können Sie gleich weiterfahren.«
»Unbedingt«, sagte Rymer. »Wir haben nichts zu verbergen.«
Die Frau gab ein Zeichen, und die Wachen zu ebener Erde kamen rasch heran und schlugen die Planen an den Wagen zurück, während die, die oben auf den Steinsäulen standen, weiter mit schußbereiten Gewehren auf sie zielten.
»Guten Tag«, sagte Jacob zu dem gutaussehenden schwarzen Wächter, der das Zaumzeug seiner Maultiere packte.
»Guten Tag, Sir«, sagte der Mann wohlartikuliert und mit breitem Grinsen.
»Sie haben heute nachmittag ein ungeheures Ausmaß an Hitze hier in Ihrer Wüste«, sagte Jacob und wischte sich die Stirn ab.
»Ja, Sir«, sagte der Mann und grinste immer noch, ohne ihn für einen Moment aus den Augen zu lassen.
Die Segeltuchplane an der Rückseite ihres Wägelchens flog beiseite; Kanazuchi hatte sich hochgezogen und saß nun da, das Schwert unter den Rockschößen verborgen. Eileen fuhr erschrocken herum und sah die Wächterin, eine zierliche junge Frau von nicht mehr als zwanzig Jahren mit Pferdeschwanz und Sommersprossen, die sich mit der zackigen Sicherheit eines gut ausgebildeten Soldaten bewegte. Ihr Blick huschte methodisch im leeren Wagen umher – was sucht sie wohl? fragte sich Eileen – und verweilte kurz auf Kanazuchi. Er nickte und lächelte und ließ keinerlei Unbehagen erkennen. Das Mädchen erwiderte sein Lächeln mit einem Grinsen, das eine Zahnlücke, aber keine übermäßige Neugier erkennen ließ.
»Hallo«, sagte Eileen.
»Ich wünsche einen herrlichen Tag«, sagte das Mädchen und ließ die Plane fallen.
Die Wächter am Boden traten zurück und gaben der Frau am Tor ein Zeichen; diese betätigte ein Gegengewicht aus Stein, und die Balkenschranke hob sich lautlos und machte ihnen den Weg frei.
»Bitte fahren Sie weiter, Mr. Rymer«, sagte sie. »Versuchen Sie nicht, die Straße zu verlassen. Wenn Sie in The New City angekommen sind, wird jemand an Sie herantreten und Ihnen weitere Anweisungen erteilen.«
»Wir sind Ihnen überaus dankbar, Madam«, sagte Rymer.
Schweißgebadet gratulierte Bendigo sich zu der unerschütterlichen Kaltblütigkeit seines Auftretens – Autoritätspersonen außerhalb des Theaters pflegten ihn zu paralysieren, zumal wenn sie schwerbewaffnet waren –, aber die Frau hatte nicht das leiseste Unbehagen bei ihm bemerken können. Welch ein Schauspieler er doch war! Er trieb seine Maultiere durch das Tor. Die anderen Wagen folgten eilig.
»Noch einen herrlichen Tag!« rief die Frau am Tor und winkte jedem vorüberfahrenden Wagen zu.
»Danke«, rief Jacob und winkte zurück. »Ihnen ebenfalls!«
Eileen spähte hinten aus dem Wagen, als die Balkenschranke sich wieder senkte; die Wächter auf den Säulen beobachteten mit ihren Gewehren in den Händen, wie sie davonrollten, während die anderen sich wieder in ihre Deckung zurückzogen.
»Was halten Sie davon?« fragte Eileen.
»Ich bemerke die zarte Hand des religiösen Fanatismus«, sagte Jacob von seiner Sitzbank herunter.
Als Kanazuchi sich neben sie schob, um durch die Plane hinauszuschauen, spürte Eileen eine tiefgreifende Veränderung in ihm; die Begegnung am Tor schien ihn mit neuem Leben erfüllt zu haben. Er wirkte konzentriert, seine Sinne schienen geschärft, und seine Bewegungen hatten ihre katzenartige Präzision und Gewandtheit wiedergewonnen. Zwar fühlte sie sich selbst nicht
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