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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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die Ankerkette erreicht hatte. Dann ließ er sich mitsamt dem Maschinenmaat an der schweren Kette hinab, wo er den Leichnam behutsam in das ölige Wasser des Hafenbeckens gleiten ließ. Er schwamm, die Kleider und das Bündel mit seinen Waffen, Pulvern und Kräutern über Kopf haltend, eine Viertelmeile weit am Pier entlang bis zu einem leeren Liegeplatz, wo er die Leiter zum Kai hinaufkletterte.
    Die Sachen paßten halbwegs. In den Taschen war ein kleiner Betrag in amerikanischem Geld. Bis jetzt lächelten die Götter, aber seine Reise hatte erst begonnen. Kanazuchi versäumte es nicht, dem Toten für das Geschenk seines Lebens zu danken und dafür zu beten, daß er seinen Lohn bereits genießen möge.
    Unbemerkt stieg er über einen Zaun, warf sich das Bündel, das den Grasschneider enthielt, über die Schulter und machte sich auf den Weg nach San Francisco. Er wußte, daß seine bewußten Sinne sich nicht mit der Frage belasten mußten, wohin er ging oder wie er dorthin kommen würde: Sensei hatte gesagt, die Vision, die ihn für diese Aufgabe bestimmt hatte, werde ihn zu dem verschwundenen Buch führen.
    Ein dunkler Turm, der sich aus dem Sand erhebt.
    Ein schwarzes Labyrinth unter der Erde.
    Chinesische Kulis, die einen Tunnel graben.
    Ein dürrer alter Mann mit einem weißen Bart und einem runden schwarzen Hut.
    Wir sind sechs.
    Und während er so ging, wiederholte Kanazuchi den Satz, mit dem er seine Meditation begann: Das Leben ist ein Traum, aus dem wir aufzuwachen versuchen.
     
     
     
    BUTTE, MONTANA
    » Jetzt wird man mich nie mehr lebend in diesen verfluchten schwarzen Turm von Zenda zurückbringen! Und dir habe ich mein Leben zu verdanken, mein bester und teuerster Freund, Cousin Rudolfe, und auch meine Rückkehr auf den Thron von Ruritanien!«
    Bendigo Rymer sank am Krankenbett des Königs schwerfällig auf die Knie, und wie immer ließ die Erschütterung die mottenzerfressene Kulisse mit der schwelgerischen Darstellung der ruritanischen Alpen erbeben. Rymer ließ seine Arme wie Windmühlenflügel kreisen und deutete damit die Tiefe der Empfindungen an, mit denen er in diesem Moment zu ringen hatte; die Sprache ließ ihn – ausnahmsweise – im Stich.
    »Komm schon, du lächerlicher Ochse, mach’s mal halblang«, knurrte Eileen, die vom Bühneneingang her zuschaute, während sie auf ihren Auftritt wartete; dabei überprüfte sie die Nadeln in ihrem Haar, um sicherzugehen, daß die billige Papptiara nicht wieder in den Orchestergraben flog, wie letzte Woche in Omaha.
    »Eure Majestät, meine Arbeit hier ist beendet. Lob kann ich keines annehmen; es macht mich glücklich, Euch auf die einzige Weise gedient zu haben, auf die ein Engländer es vermag: mit meinem ganzen Herzen«, sagte Rymer schließlich, bevor er aufstand und sich über das Rampenlicht hinweg ans Publikum wandte: »Im Dienst einer so edlen Sache ein Opfer zu bringen, das fällt nicht schwer.«
    Diese blutvoll vorgetragene Erklärung nötigte die Männer zum Applaus und förderte bei den Damen die Taschentücher zutage; und auch hier waren die braven Bürger von -wo waren sie? Butte, Montana? – nur zu gern bereit, ihren Teil zu erfüllen. Rymer sonnte sich im behaglichen Glanz ihrer unkritischen Zuneigung.
    Eileen schnaubte angewidert: Schauspieler waren nicht eben berühmt für ihr zurückhaltendes Wesen, aber dieser Mann war wirklich völlig außerstande, sich zu schämen.
    »Doch gibt es immer noch etwas, worin ich Eurer Majestät von Nutzen sein kann …« Bendigo war mit zwei schnellen Schritten zurückgewichen, so daß der Trottel, der den König Alexander spielte, dem Publikum den Rücken zuwenden mußte, ehe er Gelegenheit hatte, diesen Zug zu kontern. Sechs Monate auf Tournee, und der Idiot hatte noch immer nicht gelernt, die zentrale Position zu behalten. »Ich werde Euch die Liebe Eurer Verlobten, Prinzessin Flavia, zurückbringen; in Eures Ungewissen Schicksals dunkelster Stunde hat sie ausgeharrt und um Eure Rückkehr gebetet.«
    Ha! Wenn ich Flavia wäre und darauf warten müßte, diesen Schwachkopf zu heiraten, hätte ich mich inzwischen mit einer ganzen Schwadron der Königlichen Dragoner verlustiert.
    Rymer deutete in die Seitendekoration. Eileen schob ihre Brüste nach vorn, um ihr Decollete auf das rundlichste auszufüllen – wir werden allmählich ein bißchen zu alt für diesen Blödsinn als junge Unschuld, nicht wahr, Schätzchen? -und tänzelte ätherisch auf die Bühne »My Lord, Ihr seid am Leben! Meine

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