Im Zeichen der Sechs
mehr benutzten Sicherungskasten. Mr. Selig hatte das Sohar gestern abend aus seinem ursprünglichen Versteck hier in der Kabine entfernt – es handelte sich dabei übrigens nur um ein einfaches Loch, das er in die Matratze geschnitten hatte; kein Wunder also, daß er den Raum nicht verlassen wollte – und an jenen anderen Ort gebracht, nachdem der Captain Ihre Bitte, den Schiffstresor zu benutzen, abschlägig beschieden hatte, eine Unterredung, die ich mitangehört habe.«
»Ich hatte keine Ahnung …«, sagte Stern. »Nein. Er muß den Wechsel vorgenommen haben, während Sie versuchten, vor der Seance gestern abend Kontakt mit mir aufzunehmen, ungefähr eine Stunde vor dem Mord.«
»Und wie haben diese Leute den Mord begehen können, ohne Hand an ihn zu legen?«
Doyle nahm zwei kleine Papiertüten aus der Tasche und öffnete sie, um den andern den Inhalt zu zeigen. »Als wir gestern abend Mr. Seligs Leichnam entdeckten, da fand ich in der Tür einen kleinen Klumpen Tonerde. Die zweite, identische Probe habe ich aus einem der Särge im Laderaum; es war eine ordentliche Menge davon vorhanden, über ein Pfund, aber nur in einem Sarg.«
»Okay, prima, Doc, aber wieso ist ein bißchen Erde unser Bier?« fragte Pinkus mit dem ganzen unvoreingenommenen Taktgefühl des erfahrenen Journalisten.
»Mr. Selig war frommer als Sie – wäre das eine angemessene Feststellung, Mr. Stern?« fragte Doyle. »Ja.«
»Gehe ich überdies recht in der Annahme, daß ihm als praktizierendem Juden auch Aspekte der jüdischen Geschichte und Mythologie vertraut gewesen sein dürften?«
»Unbedingt. Rupert hat diese Dinge viele Jahre lang studiert.«
»Könnte man sagen, daß Mr. Selig sich das, was dieses Studium ihm vielleicht gegeben hat, sehr zu Herzen genommen hat – man könnte fast sagen, wie ein Evangelium?« »Ohne Frage – aber worauf wollen Sie hinaus?« Doyle senkte die Stimme und beugte sich über die Laterne; der Lichtschein von unten verlieh seinen Zügen ein dramatisches, unheimliches Aussehen. »Sind Sie, Mr. Stern, in irgendeiner Weise vertraut mit der Legende vom Golem?«
»Der Golem? Ja, natürlich – ich meine, flüchtig; als ich klein war, hat mein Vater mir die Geschichte oft erzählt.«
»Der Golem? Was ’n das?« fragte Pinkus, der immer noch ein mattes, kränklich-grünes Leuchten absonderte, obwohl er sich eine Stunde lang mit einer harten Drahtbürste abgeschrubbt hatte.
»Das Wort ›Golem‹ kommt vom hebräischen Wort für Fötus oder ungeformtes Leben«, erklärte Doyle. »Es heißt, es sei der Name, den Jahwe dem Adam gab, als er der Gestalt, die er aus dem gewöhnlichen Lehm des Gartens Eden geformt hatte, Leben einhauchte.«
»Jahwe?« Pinkus ließ eine Kaugummiblase platzen. »Ja, wer soll denn das sein?«
»Jahwe ist der hebräische Name für Gott«, sagte Stern, erstaunt über diesen Abgrund von Unwissenheit.
»Aber die Golem-Sage, die für dieses Gespräch von größerer Bedeutung ist«, sagte Doyle und wandte sich wieder Stern zu, »beginnt im Prager Judenghetto gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts. Mit blutigen Pogromen zog man gegen die Juden von Prag zu Felde. Ähnliches war in ganz Osteuropa geschehen, aber die Attacken in Prag wurden besonders bösartig und blutrünstig geführt. Einer der Tempelältesten dort war ein Gelehrter namens Rabbi Löw Juda Ben BezaleL eine sanfte, beinahe heiligmäßige Gestalt. Rabbi Löw suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, die Juden im Ghetto vor der mörderischen Verfolgung zu schützen. Jahrelang suchte er in den alten Tempelbibliotheken nach einer Lösung. Und eines Tages, so geht die Sage, entdeckte er tief vergraben im Keller der Großen Synagoge ein uraltes Buch von großer, mystischer Macht –«
»Doch nicht zufällig das Buch Sohar«, warf Innes ein. »Der Titel des Buches wird nicht genannt, aber in den Prager Synagogen dürfte es gewiß ein Exemplar des Sohar gegeben haben, und ein Mann von Rabbi Löws Gelehrsamkeit wird es sicher gekannt haben. Wie dem auch sei – als er nun dieses Buch las, stolperte der Rabbi angeblich über einen Abschnitt, der eine geheime, verschlüsselte Formel enthielt, die er in seiner unglaublichen Gelehrsamkeit entziffern konnte –«
»Übrigens ist angeblich das ganze Sohar auf diese Weise verfaßt«, warf Stern ein. »In jedem Satz verbirgt sich ein metaphysisches Geheimnis.«
»Worum geht’s denn dann hier – Blei in Gold verwandeln? ’ne Nummer von der Art?« fragte Pinkus mit großen
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