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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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Meuchelmörders zu sorgen, gab Stern in die Obhut der Offiziere auf der Brücke und wanderte allein im matten Licht einer Öllampe zu seiner Kabine zurück. Während er sich mit festem Griff an die Handläufe klammerte, um gegen das Schlingern und Rollen der Decks anzukämpfen, erkannte Doyle, daß ein Sturm mitten auf dem Atlantik an sich für die meisten strapaziös genug sein würde, wenngleich er selbst schon manche gefährlichere Nacht auf kleineren Schiffen auf hoher See überlebt hatte. Größere Unruhe bereitete ihm indessen der unüberwindliche Rest von Ungewißheit, von dem er seinen Gefährten nichts gesagt hatte, Einzelheiten, die niemand bemerkt und weiter erörtert hatte:
    Wenn einer der Särge eine große Lehmfigur enthalten hatte, blieb in den anderen Platz für vier Männer, die sich an Bord stehlen konnten. Einer von ihnen war von eigener Hand gestorben, ein zweiter über Bord gegangen; das dritte Mitglied der Mörderbande war im Korridor der Zweiten Klasse an Pinkus vorbei entkommen. Der vierte hatte höchstwahrscheinlich den jungen Offizier ermordet und seinen Platz auf der Brücke eingenommen. Das hieß, daß zwei von ihnen noch an Bord der Elbe waren, ohne daß man wußte, wo sie sich aufhielten. Dazu kam ihr Anführer, der Mann, der sich als Father Devine ausgab.
    Fünf Männer. Vier Särge.
    Die Frage war: Wie war dieser Father Devine an Bord gekommen? Auf der Passagierliste stand er nicht, und die Besatzung konnte keine Spur von ihm finden. Doyle hatte ihn am ersten Tag auf Deck aus der Nähe gesehen, und dann noch einmal bei der Seance. Nach Alter und Körperumfang zu urteilen hatte er nicht zu den Männern in Schwarz gehört, und der unglückliche Schiffsoffizier war erst dreiundzwanzig Jahre alt gewesen; Devine hätte niemals überzeugend seinen Platz auf der Brücke einnehmen können. Und Doyle war dem Mann nicht einmal eine Stunde nach dem Auslaufen begegnet; er hätte also nicht annähernd genug Zeit gehabt, sich aus einem Sarg im Laderaum zu befreien. Das Hämmern unter Deck hatte man auch erst am Abend gehört.
    Nachdenken, Doyle. Ein Priester, der sich auf einem auslaufenden Schiff in das Getümmel der Abreisenden mischte, würde bei niemandem hochgezogene Augenbrauen hervorrufen; angenommen, er spazierte mit einer Gruppe von Leuten die Gangway hinauf, als wolle er sich von ihnen verabschieden, und machte sich dann einfach unsichtbar, bis das Schiff den Hafen verlassen hatte. Ja, das klang plausibel.
    Da war auch noch die Sache mit dem Zeichen, das in den Arm des Toten eingebrannt gewesen war. Doyle war fast sicher, daß es irgendeine geheime Bedeutung hatte, aber so sehr er sich auch den Kopf zerbrach, er konnte diese Nuß nicht knacken …
    Laß dein Unterbewußtsein daran arbeiten, riet er sich. Anstrengung wird nichts helfen; vielleicht blubbert die Antwort gerade dann an die Oberfläche, wenn ich am wenigsten damit rechne.
    Während das Schiff sich durch Wellenschluchten hinauf und hinunter kämpfte, schloß Doyle mit einiger Mühe seine Kabinentür auf und öffnete sie. Drinnen war es dunkel; die Tür schwang mit den Schaukelbewegungen des Schiffes hin und her.
    Jemand war da.
    Doyle zog langsam die Pistole aus dem Gürtel.
    Der Lichtstrahl der Laterne drang in den Raum. Ein Messer steckte vor dem Bett im Boden und hatte einen Zettel festgenagelt, auf dem in großen roten Blockbuchstaben stand:
    NÄCHSTES MAL TÖTEN WIR DICH. »Machen Sie die Tür zu«, sagte die Stimme. Father Devine stand reglos mit verschränkten Armen im schützenden Schatten in einer Ecke der Kabine. Das Schiff rollte nach Steuerbord, und die Fugen der Wände ächzten unter der Spannung. Doyle schloß die Tür, spannte den Hahn seiner Pistole, hielt Devine in Schach und hob die Laterne höher.
    Eine Gestalt lag grotesk verrenkt am Fußende der Koje, ein Mann in Schwarz, der noch die Maske trug. Einer der Mörder. Erwürgt mit seiner eigenen Garrotte. Drei tot, einer noch am Leben.
    »Was wollen Sie?« fragte Doyle.
    Father Devine tat einen Schritt nach vorn, ohne seine Augen vor dem Licht zu beschirmen, und Doyle sah ihn deutlich und von vorn, zum ersten Mal, seit sie an Bord waren; er sah die gezackte, elfenbeinweiße Narbe, die sich an seinem Unterkiefer entlangzog, sah das Licht in den Augen des Mannes, das er bisher noch nicht wahrgenommen hatte, und es verschlug ihm den Atem.
    Der Priester lächelte schmal und schaute auf die Gestalt am Boden.
    »Der hier hat Sie erwartet«, sagte er, und alles

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