Im Zeichen der Wikinger
ließ.
Schon sonderbar, dachte Ames, dass so hohe Tiere keinen Außenbordmotor benutzen. Stattdessen ruderte einer der beiden, bis das Boot mitten auf dem See lag, wo er es treiben ließ, während beide Männer die Wobbler an den Schnüren anbrachten und die Ruten auswarfen. Ames zog sich in den Wald zurück und beschloss, sich zunächst eine Kanne Kaffee auf seinem Gaskocher aufzubrühen, ein Taschenbuch zu lesen und zu warten, bis die beiden Angler wieder weg waren.
Der Mann, der auf der mittleren Bank saß und ruderte, war knapp einen Meter achtzig groß und um die sechzig Jahre alt, wirkte aber erstaunlich fit. Er hatte rötlichbraune Haare, ohne eine einzige graue Strähne, und ein braun gebranntes Gesicht.
Die ganze Gestalt, vom ebenmäßigen Kopf und der edlen Nase bis zu den feingliedrigen Armen, Händen und Füßen, wirkte wie eine Marmorstatue aus dem alten Griechenland. Die Augen waren blassblau, fast wie bei einem Husky, wirkten aber keineswegs stechend, sondern eher sanft. Fast freundlich, wie manche meinten, während er sie bereits mit Blicken sezierte.
Jede seiner Bewegungen – ob beim Rudern, beim Aufziehen des Wobblers oder beim Auswerfen – wirkte genau bemessen, ohne überflüssigen Kraftaufwand.
Curtis Merlin Zale war ein Perfektionist. Nichts erinnerte mehr an den Jungen, der einst über die Maisfelder marschiert war, um seine Pflicht zu erfüllen. Der nach dem Tod seines Vaters mit zwölf Jahren die Schule verlassen hatte, um die Farm seiner Familie zu bewirtschaften, und sich selber fortgebildet hatte. Als er zwanzig war, hatte ihm die größte Farm im ganzen Bezirk gehört, sodass er einen Verwalter eingestellt hatte, der sie für seine Mutter und die drei Schwestern bewirtschaftete.
Schlau und durchtrieben, aber auch hartnäckig, wie er war, hatte er sich mit gefälschten Schulzeugnissen Zugang zu einer der angesehensten wirtschaftswissenschaftlichen Universitäten von New England verschafft. Trotz seiner mangelnden Bildung war Zale hochintelligent, und er hatte ein fotografisches Gedächtnis. Er schloss das Studium mit Auszeichnung ab und erwarb anschließend einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften.
Von da an verhielt er sich immer nach dem gleichen Muster: Er gründete Firmen, baute sie auf, bis sie überaus erfolgreich waren, und verkaufte sie. Mit achtunddreißig Jahren war er einer der neun reichsten Männer Amerikas und besaß ein Privatvermögen, das auf mehrere Milliarden Dollar geschätzt wurde. Er erwarb eine Ölgesellschaft, die wenig Profit abwarf, aber viele Förderrechte im ganzen Land besaß, unter anderem auch in Alaska. Zehn Jahre später fusionierte er mit einem alteingesessenen, gediegenen Chemieunternehmen. Und schließlich verschmolz er seine Firmen zu einem riesigen Konzern namens Cerberus.
Niemand kannte Curtis Merlin Zale näher. Er hatte keine Freunde, ging weder auf Partys, noch nahm er am gesellschaftlichen Leben teil, heiratete nicht und zog keine Kinder auf.
Seine ganze Liebe galt der Macht. Er kaufte und verkaufte Politiker, als handelte es sich um Rassehunde. Er war rücksichtslos, knallhart und eiskalt. Keiner seiner Konkurrenten konnte sich wirtschaftlich gegen ihn behaupten. Die meisten waren hinterher ruiniert und schmutzigen Auseinandersetzungen zum Opfer gefallen, die gegen jede Sitte und Moral verstießen.
Da Curtis Merlin Zale überaus gerissen und vorsichtig war, kam nie auch nur der leiseste Verdacht auf, dass er seinen Erfolg mit Mord und Erpressung errungen haben könnte. So sonderbar es auch sein mochte, aber keiner seiner Geschäftspartner, weder die Presse noch seine Gegner kamen je auf die Idee, sich zu fragen, weshalb zahlreiche Menschen, die sich mit ihm anlegten, ums Leben kamen. Viele, die ihm im Weg standen, starben allem Anschein nach eines natürlichen Todes – an Herzanfällen, Krebs oder anderen alltäglichen Krankheiten. Einige kamen bei Unfällen um – im Straßenverkehr, beim Hantieren mit Schusswaffen oder beim Baden. Ein paar verschwanden einfach. Und nie führte eine Spur zu Zale.
Curtis Merlin Zale war ein kaltblütiger Psychopath ohne einen Hauch von Gewissen. Er konnte ein Kind ebenso unbekümmert töten, wie er eine Ameise zertrat.
Er richtete die blassblauen Augen auf den Leiter seines Sicherheitsdienstes, der unbeholfen seine Angelschnur zu entwirren versuchte. »Ich finde es höchst merkwürdig, dass drei wichtige Projekte, die mit aller Sorgfalt geplant und per Computeranalyse ausgearbeitet wurden,
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