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Im Zeichen des Adlers

Im Zeichen des Adlers

Titel: Im Zeichen des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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die Kundschaft nicht davonläuft? Sehr unwahrscheinlich, daß die Toten sich dazu aufraffen könnten.« Er wies über das kleine Gräberfeld, über dem die beginnende Nacht schon ihre Schatten mit dem Nebel verwoben hatte.
    »Ich dachte, alle Friedhöfe würden nachts abgesperrt«, meinte Phi-lemon, während er den Hauptweg des Gräberfelds entlangging und die linkerhand davon abzweigenden in Gedanken mitzählte.
    »Nur die, auf denen es etwas zu holen gibt«, behauptete Mimiche. »Der Pere Lachaise beispielsweise. Stände der nächtens offen und unbewacht, hätten etwa Jim Morrison und Oscar Wilde vermutlich schon keine Grabsteine mehr -«
    »- sieben, acht!« zählte Philemon die Seitenwege nun laut und sagte dann: »Hier ist es.« Er bog in den bezeichneten Weg ab, lief an der Reihe der Gräber entlang, bis hin zum letzten, das bereits im Schatten der Friedhofsmauer lag. Dort blieb er stehen. Mimiche hielt sich zwei, drei Schritte abseits.
    Ein schlichter Stein, schräg in der Erde steckend, schmückte dieses Grab, eine geschliffene Granitplatte deckte es ab.
    Immer geliebt Marie de Lamaze 1950-1988
    stand in schnörkellosen Metallettern auf dem Grabstein.
    Auf der Platte lag ein Strauß frischer Rosen. Philemon wußte, daß es achtundvierzig waren, ohne sie zählen zu müssen. Seine Mutter wäre morgen achtundvierzig Jahre alt geworden .
    »Er war schon hier«, sagte er rauh. Der Atem dampfte ihm in der kalten Nachtluft vor den Lippen.
    »Ich weiß.« Mimiches Stimme klang erstickt, als kämpfe er gegen Brechreiz an.
    »Was ist?« fragte Philemon. Er drehte sich nach seinem Begleiter um, vage beunruhigt.
    Mimiche deutete stumm auf eine Stelle zwischen zwei anderen Gräbern. Ein dunkler Umriß zeichnete sich, seltsam unförmig, am Boden ab. Erst als er nähertrat, erkannte Philemon, worum es sich dabei handelte.
    »Nein!« entfuhr es ihm.
    Mimiche stieß einen undefinierbaren Laut aus. Vermutlich kam ihm immer noch der Magen hoch. Der Tote sah ganz und gar nicht so aus, als sei er friedlich entschlafen. Genau genommen sah er noch nicht einmal wie ein Toter aus, sondern so, als habe eine Schlachterei nicht verwertbares Fleisch und Innereien kurzerhand an dieser Stelle »entsorgt« .
    »Der arme Kerl hatte offenbar das Pech, ihm über den Weg zu laufen«, meinte Mimiche.
    Philemon nickte. »Ich muß ihn finden. Unbedingt. Noch heute Nacht.«
    »Wie willst du das anstellen?« fragte Mimiche, während Philemon wie ein gereizter Tiger auf und ab lief. »Willst du ihn einfach rufen?«
    Philemon verhielt mitten im Schritt und schnippte mit den Fingern.
    »Das ist es!«
    Der Reporter lachte humorlos auf. »Du bist nicht bei Trost. Wie soll das funktionieren?«
    Philemon grinste nicht minder trocken. »Er wird meinem Ruf folgen - weil er ihm nicht wird widerstehen können.«
    Mimiche nickte, die Lippen verziehend. »Verstehe. Der Ruf des Blutes und sowas, hm?«
    »Genau«, sagte Philemon. »Ich muß nur einen Ort finden, von dem aus mein Ruf so weit wie nur möglich trägt.« Er sah sich um. »Irgend etwas Hohes am besten -« Er erstarrte, den Blick nach Süden gerichtet, hinweg über die Wipfel der Bäume, die den kleinen Friedhof säumten, dorthin, wo in einiger Entfernung und jenseits der Seine ein stählernes Skelett himmelhoch aufragte, das durch die nächtliche Illumination weißglühend aussah.
    Philemon nickte triumphierend.
    »Fahr mich zum Eiffelturm«, bat er Mimiche dann.
    Der Reporter stöhnte gequält. »Merde! Du bringst mich in Teufels Küche.«
    »So schlimm wird's schon nicht werden«, meinte Philemon. Und noch grinste er dabei.
    *
    In klaren Nächten herrschte stets reger Betrieb im und um den Eiffelturm. Heute jedoch, da Nebel die Sicht trübten, stand die 7000 Tonnen schwere Stahl-und-Eisen-Konstruktion nahezu einsam da. Die Anzahl der Leute, die zu einer der drei Besucherplattformen hinaufsteigen oder -fahren wollten, war überschaubar, und Mimi-ches Presseausweis beeindruckte sie zumindest so sehr, daß sie dem Reporter und Philemon de Lamaze den Vortritt ließen. Das unscheinbare Plastikkärtchen ersetzte ihnen außerdem die Tickets für den Lift.
    »Was wirst du tun, wenn er deinem Ruf folgt?« fragte Mimiche leise, als sie Seite an Seite inmitten weiterer Besucher in der geräumigen Fahrstuhlkabine standen. »Ich betone, wenn er es tut. Denn ich glaube nicht, daß er so blöd sein wird. Wenn er dich überhaupt hört - was ich für noch unwahrscheinlicher halte .«
    Philemons Antwort ließ

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