Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zeichen des Adlers

Im Zeichen des Adlers

Titel: Im Zeichen des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
Vom Netzwerk:
besetzt hielt. Nein, er pflegte es. Ehrenamtlich sozusagen, und unentgeltlich. Nur um der Toten willen, und zum Gefallen derer, die ihre verstorbenen Lieben hier besuchten.
    Ab und an steckte einer von ihnen dem Alten ein paar Franc zu, aber er hätte es auch ohne Lohn getan. Vielleicht, weil die Toten ihm die liebste Gesellschaft waren, nachdem die Lebenden ihn seit jeher mieden .
    Das mochte daran liegen, daß er mit seinem Buckel und dem blinden Auge ihrer Idealvorstellung menschlicher Schönheit nicht einmal nahekam - wie auch immer, er hatte es vor langer Zeit schon aufgegeben, sich deswegen zu grämen. Mit der bescheidenen Zuwendung, die er von städtischer Seite (oder staatlicher - so genau wußte er das nicht ...) erhielt, hatte Jean Grenouille sein Auskommen, genügsam wie er war, und Freunde hatte er auf seinem Friedhof genug.
    Stumme, aber geduldige Zuhörer waren sie ihm, und Grenouille meinte gar, den stillen Dank, dem sie ihm für seine Arbeit zollten, spüren zu können. Er wärmte ihm Herz und Seele, und mochten die Leute auch sagen, die Toten wären kalte Gesellen - er wußte es allemal besser .
    Es dämmerte schon, als Jean Grenouille aus dem kleinen Leichenhaus trat und dorthin blinzelte, wo im Nebeldunst die Sonne gerade versinken mußte, während am Horizont gegenüber schon der volle Mond aufzog. Zwei Verstorbene lagen in der kleinen Halle aufgebahrt. Ein älterer Herr, der selbst bis vor wenigen Tagen noch regelmäßig den Friedhof aufgesucht hatte, um nach dem Grab seiner Frau zu sehen und es morgen schon mit ihr teilen würde; und ein -für Grenouilles Begriffe jedenfalls - noch junges Weib von geradezu sündiger Schönheit, wie er fand.
    Sorgsam um sich schauend, ob auch niemand ihn sah, schlich Gre-nouille aus dem Leichenhaus.
    Aber zu so später Stunde zog es die Leute nicht mehr auf den Friedhof. Ganz so, als glaubten sie, die Gräber würden sich im Dunkeln öffnen, um den Lebenden den Weg in die Hölle hinab zu weisen - Aber halt! Grenouille stutzte. Was war denn das? Dort drüben, bei den Gräbern nahe der Mauer? Bewegte sich da nicht etwas?
    Tatsächlich trieb sich da jetzt noch ein Besucher um.
    Grenouille straffte sich, so gut es seiner krummen Gestalt eben möglich war, und machte sich auf den Weg. Höflich, aber bestimmt würde er den Mann dort bitten, zu gehen. Denn zumindest in der Nacht sollten auch seine Freunde ungestört ruhen dürfen .
    »Monsieur?« sprach er den Fremden schließlich an, der vor einem der Gräber kniete. Darin schlief seine Freundin Marie den ewigen Schlaf; Grenouille kannte die Namen aller Toten hier.
    Der Mann indes schien ihn nicht zu hören.
    Grenouille sprach ihn ein weiteres Mal an und sagte: »Sie sollten gehen, Monsieur, ich möchte das Tor abschließen.« Er ließ vernehmlich die rostigen Schlüssel am Gürtelbund klimpern.
    Ein ganz eigenartiger Laut drang zu Grenouille. Er schauderte. Nie zuvor hatte er einen solchen Ton gehört. Ein klein wenig erinnerte er ihn an das Knurren eines Hundes - aber einem Hund, der solche Laute von sich gab, wollte Grenouille im Leben nicht begegnen .
    »Sie sollten gehen«, hörte er den Mann am Grab sagen. »Glauben Sie mir, es wäre nur zu Ihrem Besten.«
    »Ich verstehe nicht -«
    »Das müssen Sie auch nicht. Tun Sie einfach, was ich sage. Gehen Sie!« Die Worte des Fremden klangen drohend, und wieder vernahm Grenouille diesen unheimlichen Laut - in der Stimme des Mannes dort .!
    Was war das nur für ein seltsamer Kauz? fragte sich Jean Gre-nouille. Na, wer auch immer er war - er hatte nicht das Recht, ihn von hier fortzuweisen. Solches Recht stand allein ihm selbst zu!
    Andererseits jedoch - sollte der Fremde doch ruhig noch ein Weilchen bleiben. Marie bekam so selten Besuch ...
    »Gut, noch ein paar Minuten«, sagte Grenouille, »aber dann müssen Sie gehen.«
    Er wandte sich um - und erstarrte, kaum daß er es getan hatte!
    Das bösartige Knurren schwoll an, wurde laut und immer lauter, und schon war es direkt hinter ihm. Heißer, übler Atem fuhr ihm über den Nacken und umnebelte Grenouille zur Gänze -- vermengt mit dem Geruch seines eigenen Blutes . Der Tod erbarmte sich seines treuen Dieners, ehe furchtbarster Schmerz ihn in den Wahnsinn treiben und umbringen konnte.
    *
    »Merkwürdig«, murmelte Philemon de Lamaze, als er das Gittertor zu dem kleinen Friedhof aufstieß, »daß hier nicht abgeschlossen ist.«
    »Wieso sollte das Tor abgeschlossen sein?« fragte Mimiche, der ihm folgte. »Damit nachts

Weitere Kostenlose Bücher