Im Zeichen des Adlers
düster.
Dann wandte er sich dem von Nebeln verschleierten Mond zu, breitete die Arme aus, sank in die Knie - - und ließ geschehen, was er sich so lange verboten hatte.
Mimiche sah starr und stumm vor Grauen mit an, was mit Phile-mon vorging. Deutlich wurde ihm vor Augen geführt, weshalb er gehofft hatte, ihn nie mehr wiedersehen zu müssen. Denn er wußte auch, wozu Philemon fähig war, was er zu tun gezwungen war, wenn er nicht mehr er selbst, nicht mehr der freundliche junge Mann war - sondern nur noch das Ungeheuer ...
Wenig später heulte ein Wolf hoch über den höchsten Dächern von Paris, und die Nacht trug seinen Ruf weit über die Stadt. Ir-gendwo verwehte er - doch nur menschliche Ohren
*
Die kleine Bar lag in einer Seitenstraße der Avenue des Champs Elysees und zählte zu den Geheimtips der Pariser Nachtschwärmer. Noch! Sie würde es nicht mehr tun, wenn der Tip erst einmal jedermann zu Ohren gekommen und das verwinkelte Lokal hoffnungslos überlaufen war. Dann würde irgend jemand anderswo eine weitere Bar eröffnen, dafür sorgen, daß man sich erzählte, hier müsse man einfach mal gewesen sein, und so würde das immer weitergehen. Wie es seit Jahren eben schon so ging.
Aimee Richis kannte alle ehemaligen und alle aktuellen Geheimtips. Sie flatterte schon seit Jahren durch das Pariser Nachtleben, bezeichnete sich selbst als »Nachtfalter« und verschwieg, daß sie die Nacht vor allem deshalb bevorzugte, weil das Kunstlicht der Bars die Fältchen besser und vor allem billiger kaschierte als jede Creme.
Zweimal hatten Idioten schon versucht, sie zu vergewaltigen. In beiden Fällen hatten die Typen ihren Versuch mit schwerer Atemnot und tagelang tränenden Augen bezahlt. Ans Ziel ihrer perversen Träume waren sie nicht gekommen. Aimee bestimmte immer noch selbst, wem sie seine Träume erfüllte - und ob sie sich dafür entlohnen ließ ...
Warum sie gerade jetzt, da der dunkelhaarige Typ auf der anderen Seite der Bar sie auffallend unauffällig musterte (und das schon seit einer geraumen Weile), daran denken mußte, wußte sie nicht. Der Mann dort - um die Fünfzig, weder schlank noch dick, sondern von angenehm kräftiger Statur und erlesen gekleidet - sah nicht aus wie einer, der sich mit Gewalt nahm, was Frauen ihm freiwillig nicht zu geben bereit waren. Aimee Richis hatte einen Blick für so was - und sich bislang ja auch nur zweimal geirrt .
Sie verfiel auf einen uralten Trick, um Näheres über den Typen in Erfahrung zu bringen: eine Zigarette zwischen die Lippen und verzweifelt nach dem Feuerzeug suchend, das sie natürlich in ihrem Täschchen wußte, aber mit Absicht übersah.
Eine Flamme sprang klickend vor ihrem Gesicht auf. Aimee nickte dankend, während sie dunkles, dichtes Haar auf einer sehnigen Faust sah, die sich um ein goldenes Feuerzeug schloß. Nicht billig, das Teil, und die Hand - durchaus interessant.
Wie der Rest des Mannes.
Er überragte Aimee um mindestens eine halbe Haupteslänge. Gut. Sie haßte Kerle, die kleiner waren als sie.
»Gestatten Sie?« Der Mann sah fragend auf den freien Barhocker neben dem ihren.
»Bitte sehr«, erwiderte sie, Rauchkringel blasend. »Ist ein freies Lokal in einem freien Land.«
»So schnippisch? Ich kann mich auch auf meinen alten Platz -«
»Excusez-moi, war nicht so gemeint. Bleiben Sie nur.«
Er stellte sich vor, sie nannte ihren Namen.
»Romaine«, wiederholte sie so langsam, als ließe sie sich seinen Namen auf der Zunge zergehen. »Ein schöner Name. Was tun Sie so, Romaine?«
»Ich reise viel, stamme ursprünglich aus dem Elsaß.«
»Leben Sie hier in Paris?«
»Ich habe keinen wirklichen Wohnsitz. Ich lebe mal hier, mal da -wo es mir gerade gefällt«, antwortete er. Seine Stimme war dunkel und volltönend, angenehm. Aimee erschauerte bei der Vorstellung, wie diese Stimme ganz nah an ihrem Ohr klingen mußte, wenn sein Atem warm über ihren Hals strich .
Aimee Richis! rief sie sich zur Ordnung. Was bist du nur für ein schmutziges kleines Mädchen?
Sie kicherte, für Romain scheinbar grundlos.
»Was ist so lustig?« fragte er. »Ich würde gerne mitlachen.« Er lächelte.
»Oh, ich bin sicher, wir würden einiges finden, worüber wir gemeinsam lachen könnten«, meinte Aimee zweideutig.
»Das könnte ich mir auch vorstellen«, erwiderte er. Wie zufällig berührten seine Finger die nicht mehr ganz straffe Haut ihres Oberarmes. Aimee schloß für einen Moment die Augen, während etwas wie schwacher Strom von ihrem
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