Im Zeichen des Adlers
Arm bis hinab in die Fußzehen prickelte.
»Ich wür-«
»Was ist?« fragte sie, als Romain plötzlich mitten im Wort abbrach. Aimee musterte ihn erstaunt und aufmerksam.
Romains Blick hatte sich verändert. Er galt nicht mehr der Frau an seiner Seite, sondern - Sie versuchte seiner Richtung zu folgen, fand aber nichts, was Romains Interesse geweckt haben könnte.
»Haben Sie das auch gehört?« fragte er leise, aber irgendwie schien er sie nicht einmal bewußt anzusprechen. Er wirkte wie der Welt entrückt.
»Nein«, erwiderte sie verwirrt. »Wovon reden Sie? Was ist denn los?«
»Ich muß gehen«, sagte er hastig. Er warf einen Geldschein auf den metallbeschlagenen Tresen und rutschte vom Hocker. »Es tut mir leid«, murmelte er noch, dann eilte er zur Tür hinaus. Mehrere Gäste sahen ihm verwundert nach; offensichtlich hatten sie das sich anbahnende Techtelmechtel zwischen ihm und Aimee Richis beobachtet. Entsprechend amüsiert waren die Blicke, die man ihr zuwarf.
Sie ignorierte sie.
»Idiot!« fauchte sie in ihr Cocktailglas. Ohne zu wissen, wie glücklich sie sich schätzen durfte - denn heute Nacht hätte ihr nichts von all dem das Leben gerettet, was sie zur Verteidigung gegen unliebsame Verehrer in ihrer Handtasche mit sich schleppte .
Vor der Bar steuerte der Mann eines der bereitstehenden Taxis an. Er nahm im Fond Platz, weil der Beifahrersitz von einem grauen Perserkater besetzt war.
»Wohin?« fragte der Fahrer, nicht allzu freundlich.
»Nach - Südwesten«, antwortete Romain nach kurzem Zögern.
»Was?« Der Glatzkopf hinter dem Steuer war hörbar unzufrieden mit der Zielangabe.
Romaines Arm legte sich ihm blitzschnell um den Hals und preßte den Fahrer hart gegen die Kopfstütze. Das Tier auf dem Beifahrersitz fauchte, so lahm und wenig überzeugend jedoch, daß die Vermutung nahelag, es gäbe auch schwule Kater .
»Du hast es gehört«, knurrte Romaine. »Und nun fahr los, sonst ist die Nacht für dich vorbei, verstanden?«
»J-ja, natürlich«, keuchte der Glatzkopf und gab Gas.
Unterwegs sagte ihm sein Fahrgast immer wieder, wann er die Richtung zu wechseln hatte. Bis er ihm schließlich ein konkretes Ziel nennen konnte.
»Zum Eiffelturm.«
»Das ist doch endlich mal 'n Wort«, zeigte sich der Fahrer zufrieden. Die Unannehmlichkeit des kleinen Zwischenfalls würde er auf den Preis aufschlagen .
*
Philemon de Lamaze bot einen erbarmungswürdigen Anblick, wie er nackt und erschöpft auf dem nietenbeschlagenen Metallboden lag. Aber Mimiche vermochte kaum Mitleid aufzubringen. Dazu wußte er zu gut, was Philemon wirklich war - und was er zumindest in der Vergangenheit schon alles getan hatte.
Es war nicht so, daß er de Lamaze dafür wirklich haßte. Vielmehr eigentlich haßte er sich selbst - weil er nie etwas dagegen unternommen und nur geschwiegen hatte; um ihrer Freundschaft willen, die nicht wirklich Freundschaft sein konnte - oder war sie es gerade deswegen, weil sie selbst dieser buchstäblich mörderischen Belas-tung standgehalten hatte?
Mimiche verbot sich, weiter darüber nachzudenken. Er würde weder Ziel noch Antworten finden. Eher um sich abzulenken, als aus echter Hilfsbereitschaft, reichte er Philemon die Hand hinab.
»Steh auf und zieh dich an, Junge«, sagte er. »Du hattest deinen Spaß, aber er kommt nicht.«
Philemon übersah die ihm dargebotene Hand und richtete sich schweratmend auf Hände und Knie auf, schüttelte den Kopf und keuchte: »Er kommt. Er muß kommen! Er muß mich doch gehört haben .«
Der Reporter schob den Revolver hinter den Hosenbund, erst jetzt richtig froh darüber, daß er die Waffe nicht hatte benutzen müssen. Wie groß mußte Philemons Willenskraft sein, daß er ihn nicht angegriffen hatte, als er nicht er selbst gewesen war? Mimiche konnte die immense, ja wahrhaft übermenschliche Anstrengung nicht nachvollziehen.
»Wer weiß, ob er überhaupt noch in der Stadt ist«, meinte er.
Philemon wies zum Himmel auf, als wolle er das Rund des Mondes mit seinem ausgestreckten Finger aufspießen.
»Er wird Paris nicht verlassen, solange Vollmond ist«, war er überzeugt. »Das hat er nie getan. Du weißt es doch. Von wem stammt denn der Name Vollmond-Monster?«
Mimiche nickte, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber keinen Ton hervor. Er verharrte ebenso atemlos wie Philemon, als das Metall unter ihnen sacht zu vibrieren begann. Dumpfes Rumpeln drang an ihre Ohren - und die Anzeige neben der Fahrstuhltür sprang von Rot auf
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