Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
hingewiesen worden – hatte den Kontakt zu Nomuri aber dennoch nicht gemeldet, weder ihrem Vorgesetzten noch dem Sicherheitsbeauftragten, was sie eigentlich hätte tun müssen. Warum hatte sie es nicht getan? Zum einen, weil ihr die Regeln entfallen waren, weil sie bisher nie dagegen verstoßen hatte und auch niemanden kannte, dem so etwas vorzuwerfen gewesen wäre. Zum anderen, weil sie wie die meisten Menschen eine Trennungslinie zog zwischen dem privaten und dem beruflichen Leben. Darauf, dass dies in ihrem Fall nicht getrennt werden durfte, hatte das MSS in seiner Unterweisung zwar hingewiesen, aber in solch nebulösen Umschreibungen, dass sie nur am Rande davon Notiz genommen hatte. Und so war sie nun hier, ohne zu wissen, was dieses Hier eigentlich bedeutete. Nomuri hoffte, dass ihr das auch nie klar werden würde. Er sah sie um die Ecke biegen und verschwinden. Das Glück musste helfen. Was die Vernehmungsoffiziere des MSS in der Pekinger Version der Lubjanka mit einer jungen Frau anstellten, war nicht auszudenken, vor allem dann nicht, wenn man mit ihr soeben noch geschlafen hatte.
»Viel Glück, Süße«, flüsterte Nomuri und ging, nachdem er die Tür geschlossen hatte, ins Badezimmer, um zu duschen.
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(PUNKT)COM
Nomuri fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Würde sie es tun? Würde sie tun, wozu sie verpflichtet war, und dem Sicherheitsbeauftragten Bericht erstatten? Oder würde sie womöglich mit der CD-ROM am Arbeitsplatz erwischt und verhört werden? Auf den ersten Blick sah sie aus wie eine Musik-CD mit der von Bill Conti komponierten Musik für den Film Rocky – dieser Billigversion eines amerikanischen Intellektuellen, die auch in der Volksrepublik bekannt war. Bei genauerer Überprüfung aber würde sich herausstellen, dass die erste Datenspur auf der metallenen Oberfläche dazu angetan war, den Computer auf einen Sektor zu steuern, der nicht Musik enthielt, sondern einen Binärcode, der es wirklich in sich hatte.
Es handelte sich dabei nicht um einen herkömmlichen Virus, denn ein Virus vagabundiert durch Netzwerke und dringt heimlich in Computer ein, eben so wie ein Krankheitserreger in ein Organ. Doch dieser ›Erreger‹ kam von der CD-ROM geradewegs durch den Haupteingang und bildete einen einzigen Button auf dem Bildschirm ab, auf den Ming, nachdem sie sich nach allen Seiten hin umgesehen hatte, schnell den Mauspfeil bewegte und den INSTALL-Befehl auslöste, worauf der Button sofort wieder verschwand. Kaum war das Programm installiert, suchte es mit annähernder Lichtgeschwindigkeit die Festplatte ab, kategorisierte jede Datei und legte einen eigenen Index an, der dann zu einer kleinen Datei komprimiert und mit einem unauffälligen Namen versehen wurde, welcher scheinbar irgendeinem anderen Programm als Funktion zugewiesen war. Nur ein erfahrener Computerspezialist hätte nach gründlichster Überprüfung herausgefunden, dass da etwas nicht stimmte. Was es mit dem Programm aber tatsächlich auf sich hatte, wäre nur durch einen Eins-zu-eins-Abgleich zu erfahren gewesen, und der hatte so wenig Aussicht auf Erfolg wie der Versuch, ein einziges krankes Blatt in einem dichten Wald ausfindig zu machen, in dem alle Blätter gleich aussahen bis auf dies eine, etwas kleinere. CIA und NSA vermochten nicht mehr die besten Programmierer Amerikas für sich zu gewinnen, denn in der Industrie war inzwischen so viel Geld zu verdienen, dass eine staatliche Behörde nicht mehr konkurrieren konnte. Aber diese Spezialisten ließen sich immer noch für einen Job anheuern, und was dabei herauskam, war auch nicht schlecht. Wenn die Summe stimmte – seltsam, dass für einen Subunternehmer immer mehr Geld vorhanden war als für einen Angestellten –, bewahrten sie sogar Stillschweigen. Sie wussten ja auch nicht, worum es eigentlich ging, oder?
In diesem besonderen Fall kam ein zusätzlicher Aspekt zum Tragen, der auf eine Zeit vor über 60 Jahren zurückverwies. Als die Deutschen 1940 über die Niederlande hergefallen waren, trafen sie dort sowohl auf eilfertige Kooperation als auch auf erbitterten Widerstand. Prozentual hatten sich mehr Holländer den Deutschen angeschlossen als die Bewohner anderer eroberter Staaten, ihre Zahl reichte, um eine eigene SS-Division zu gründen, die SS Nordland. Gleichzeitig entwickelte sich in Holland die effektivste Widerstandsbewegung Europas. In ihren Reihen befand sich ein brillanter Mathematiker und Ingenieur, der für die nationale Telefongesellschaft arbeitete. Im
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