Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Recht. Fantastisch, was er da erreicht zu haben schien. Das war der CIA bislang noch nie gelungen: einen Fuß in die Tür zum chinesischen Politbüro zu setzen. Das hatten wahrscheinlich nicht einmal die Russen geschafft – obwohl man bei denen nie so recht wusste. Bei Wetten um den russischen Geheimdienst konnte man jede Menge Geld verlieren.
»Datei geladen«, meldete endlich die elektronische Computerstimme. Die DDO fuhr in ihrem Drehsessel herum und legte als Erstes zwei Sicherungskopien der empfangenen Datei an, eine auf der zweiten Festplatte, die andere auf der ›Toaster‹-Scheibe, so genannt, weil diese Disk wie ein Stück Brot ins Laufwerk geschoben und diesem wieder entnommen wurde. Danach tippte sie den Entschlüsselungscode ein: 51240. Sie hatte keine Ahnung, warum Nomuri diese Ziffernfolge gewählt hatte, aber das war auch nicht wichtig. Hauptsache, kein anderer außer ihnen kannte sie. Als sie nun die RETURN-Taste drückte, veränderten sich die Datei-Icons. Von den chronologisch geordneten Dateien rief MP daraufhin die älteste auf. Eine Seite voller chinesischer Ideogramme wurde aufgeschlagen. Sofort langte MP zum Hörer und rief per Knopfdruck ihre Sekretärin. »Dr. Joshua Sears, DI, Sektion China. Bitten Sie ihn, zu mir zu kommen. Sofort.«
Es dauerte endlose sechs Minuten. Mary Patricia Kaminsky Foley wurde so schnell nicht nervös. Jetzt aber war es so weit. Das Bild auf ihrem Monitor erinnerte an die Spuren betrunkener Hähne, die in ein Tintenfass getreten waren. Kaum vorstellbar, dass sich dahinter Worte und Gedanken verbargen. Streng geheime Worte und Gedanken, die nun vermutlich von ihrem Bildschirm abzulesen waren. Dank solcher Möglichkeiten waren Kriege gewonnen und geschichtliche Entwicklungen in Gang gesetzt worden, die so von den Mächtigen der Welt gar nicht intendiert gewesen waren. Und genau darin lag der Reiz der Spionage: Sie stellte wirklich Weichen und entschied über das Schicksal ganzer Nationen …
… und darum hing das Schicksal ganzer Nationen jetzt von Chet Nomuri ab, von seinen Qualitäten als Liebhaber, dachte Mrs. Foley. Wie verrückt diese Welt doch war! Welcher Historiker wollte da noch durchblicken? Welche Bedeutung kam der Verführung einer kleinen Sekretärin zu, die nur die Gedanken ihres Vorgesetzten transkribierte, diese aber dadurch, dass sie sich hatte einwickeln lassen, anderen zugänglich machte und damit den Lauf der Geschichte beeinflusste, so unabdingbar wie ein Ruder, das den Kurs eines Schiffes änderte! Bei Mary Pat, der Leiterin der Abteilung für verdeckte Operationen beim CIA, löste dieser Augenblick ein Gefühl der Erfüllung wie während der Geburt ihrer Kinder aus. Gewissermaßen lag ihr ganzer Seinsgrund in diesen Ideogrammen auf dem Monitor – und sie konnte diese verdammten Zeichen nicht lesen. Ihre Sprachkenntnisse hätten ausgereicht, russische Literatur an der Universität von Moskau zu lehren, doch ihr Chinesisch beschränkte sich auf Chop suey und Moo goo gai pan.
»Mrs. Foley?« Im Türspalt zeigte sich ein Kopf. »Ich bin Josh Sears.« Er war fünfzig, groß gewachsen und ergraut. Braune Augen. Und das Kantinenessen schien ihm gut zu schmecken, dachte die DDO.
»Bitte kommen Sie herein, Dr. Sears. Ich möchte, dass Sie mir etwas übersetzen.«
»Gern.« Er rückte einen Stuhl zurecht, nahm Platz und nahm ein paar Seiten entgegen, die sich die DDO von ihrem Laserdrucker hatte ausdrucken lassen.
»Okay, da wäre zuerst das Datum, der 21. März. Ort: Peking … eh, im Haus des Ministerrats. Minister Fang unterhält sich mit Minister Zhang.« Sears überflog die Seite. »Mrs. Foley, das ist starker Tobak. Die beiden sprechen über die Möglichkeit, dass der Iran … nein: die Vereinigte Islamische Republik die gesamte Golfregion mit all ihren Ölfeldern einnehmen könnte, und was das für Auswirkungen auf China haben würde. Zhang gibt sich vorsichtig optimistisch. Fang ist skeptisch. Oh, das ist ein Aide-mémoire , nicht wahr? Fangs Notizen über ein Gespräch mit Zhang.«
»Die Namen sagen Ihnen etwas?«
»Ja, beide sind Minister ohne Geschäftsbereich. Politbüro-Mitglieder, die keine speziellen ministeriellen Pflichten haben. Das heißt, sie stehen dem Vorsitzenden, dem Ministerpräsidenten der Volksrepublik, Xu Kun Piao, sehr nahe. Ihre Freundschaft reicht über 30 Jahre zurück, bis in die Zeit von Mao und Tschu Te. Vielleicht wäre es in dem Fall richtiger, von Seilschaft zu sprechen. Oder von Teilnehmern einer
Weitere Kostenlose Bücher