Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
hatte die erforderlichen Münzen und er wusste die Nummer. Und deshalb nahm Yang Quon den Hörer ab und wählte. Wenn er die Fähigkeit, das Schicksal zu ändern, auch nicht in sich entdecken konnte, hoffte er doch, diese Fähigkeit in einem anderen zu finden.
»Ich gehe dran«, sagte Reverend Yu auf Englisch, stand auf und ging in die Richtung, aus der das Läuten kam.
»Ein erstaunlicher Mann«, sagte Wise, an die beiden Katholiken gewandt.
»Ein wunderbarer Mensch und ein guter Hirte seiner Herde«, stimmte ihm Kardinal DiMilo zu. »Das ist eigentlich alles, was ein Mann sich wünschen kann.«
Monsignore Franz Schepke wandte den Kopf, als er den veränderten Tonfall von Yus Stimme mitbekam. Irgendetwas stimmte da nicht, und dem Klang seiner Stimme nach war es etwas Ernstes. Als Yu in den Wohnraum zurückkehrte, sprach seine Miene Bände.
»Was ist passiert?«, fragte Schepke in tadellosem Mandarin. Vielleicht handelte es sich um etwas, das nicht für die Ohren der amerikanischen Reporter bestimmt war.
»Eine Frau aus meiner Gemeinde«, antwortete Yu und griff nach seiner Jacke. »Sie ist schwanger, die Wehen haben gerade eingesetzt. Aber ihre Schwangerschaft ist nicht genehmigt und ihr Mann fürchtet, dass sie das Kind im Krankenhaus töten. Ich muss ihnen helfen.«
»Franz, was ist los?«, fragte DiMilo den Monsignore auf Deutsch.
Um sicher zu gehen, dass es die Amerikaner nicht verstanden, antwortete der Jesuit in attischem Griechisch, der Sprache Aristoteles’. »Sie haben sicher schon von diesen Praktiken gehört, Eminenz. Die Behörden veranlassen hier Dinge, die in jedem zivilisierten Land der Erde als Mord angesehen würden, und das aus rein politischen und ideologischen Gründen. Yu will den Eltern helfen, das Schlimmste zu verhindern.«
DiMilo musste nicht lang überlegen. Er stand auf. »Fa An?«
»Ja, Renato?«
»Dürfen wir mitkommen und Ihnen helfen?«, fragte der Kardinal in holprigem Mandarin. »Vielleicht verleiht unser diplomatischer Status der Sache mehr Gewicht.«
Auch Reverend Yu überlegte nicht lange. »Ja, das ist eine gute Idee! Ich darf auf keinen Fall zulassen, dass dieses Kind getötet wird, Renato.«
Wenn der Fortpflanzungstrieb zu den elementarsten Regungen der Menschen gehört, gibt es wenig, was einen Erwachsenen schneller zur Tat schreiten lässt, als der Ruf Kind in Gefahr . Aus diesem Grund wagen sich Männer in brennende Gebäude und springen in reißende Flüsse. In diesem Fall schickten sich drei Geistliche an, ein staatliches Krankenhaus aufsuchen, um es mit der volkreichsten Nation der Erde aufzunehmen.
»Was ist los?«, fragte Wise angesichts der plötzlich in ständig wechselnden Sprachen geführten Unterhaltung und der sichtlichen Erregung der drei Kirchenmänner.
»Ein seelsorgerischer Notfall«, sagte DiMilo. »Ein Mitglied von Yus Gemeinde ist im Krankenhaus. Sie braucht seinen Beistand, und wir begleiten ihn, um ihm bei seinen seelsorgerischen Pflichten zur Seite zu stehen.« Die Kamera lief noch, aber das ließ sich mühelos herausschneiden. Ist doch auch völlig egal, dachte Wise.
»Ist es weit? Können wir helfen? Sollen wir Sie hinfahren?«
Yu überlegte kurz und gelangte rasch zu der Einsicht, dass er mit seinem Fahrrad nicht annähernd so schnell wäre wie die Amerikaner mit ihrem Van. »Das wäre sehr freundlich, ja.«
»Na, dann los.« Wise stand auf und deutete zur Tür. Seine Crew hatte im Handumdrehen ihre Ausrüstung abgebaut und war schon vor ihnen zur Tür hinaus.
Wie sich herausstellte, war das Longfu-Krankenhaus, das an einer in nord-südlicher Richtung verlaufenden Straße lag, nur drei Kilometer entfernt. Es musste, fand Wise, von einem blinden Architekten entworfen worden sein, denn es war selbst für chinesische Verhältnisse so bar jeder Ästhetik, dass es nur ein öffentlicher Bau sein konnte. Wahrscheinlich hatten die Kommunisten in den 50er Jahren jeden mit auch nur einem Anflug von ästhetischem Empfinden umgebracht, ohne dass danach jemand versucht hatte, ihren Platz einzunehmen. Wie die meisten Journalisten stürmte die CNN-Crew wie ein SWAT-Einsatzkommando durch den Haupteingang. Der Kameramann, flankiert vom Tontechniker, hatte sein Handwerkszeug geschultert, Barry Wise und der Produzent folgten ihnen und hielten bereits nach guten Motiven Ausschau. Das Foyer trostlos zu nennen war noch untertrieben. Selbst in einem Gefängnis in Mississippi herrschte eine einladendere Atmosphäre. Dazu kam noch der durchdringende
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