Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Lien-Hua war wegen neuerlicher Kontraktionen keuchend in die Knie gegangen, so dass er sie fast zu ihren Fahrrädern schleppen musste. Im selben Moment wurde ihm klar, dass es keinen Sinn hatte. In diesem Zustand konnte sie unmöglich Rad fahren. Ihre Wohnung lag elf Straßen entfernt. Die Treppe in den zweiten Stock konnte er sie vielleicht hinaufschleppen, aber wie sollte er sie überhaupt bis zur Haustür bringen?
»Meine Frau ist… sie hat sich verletzt.« Quon sträubte sich zu sagen, was seine Frau wirklich hatte. Er kannte den Sicherheitsbeamten. Er hieß Zhou Jingjin und machte einen recht anständigen Eindruck. »Ich versuche, sie nach Hause zu bringen.«
»Wo wohnst du, Genosse?«, fragte Zhou.
»Im Großer-Langer-Marsch-Wohnblock, Nummer vierundsiebzig«, antwortete Quon. »Kannst du uns helfen?«
Zhou taxierte die Frau kurz. Es schien ihr sehr schlecht zu gehen. In seinem Land wurde kein großer Wert auf Eigeninitiative gelegt, aber hier war eine Genossin, die in Schwierigkeiten steckte, und die Menschen sollten doch solidarisch sein, und außerdem lag ihre Wohnung nur zehn oder elf Straßen entfernt. Das bedeutete selbst mit seinem langsamen Gefährt eine Fahrt von höchstens 15 Minuten. Er traf seine Entscheidung auf der Basis sozialistischer Arbeitersolidarität.
»Pack sie hinten drauf, Genosse.«
»Danke, Genosse.« Quon hievte seine Frau auf die rostige Ladefläche hinter dem Führerhaus. Mit einem Handzeichen gab er Zhou zu verstehen, in Richtung Westen zu fahren. Im Moment waren die Wehen besonders schlimm. Lien-Hua schnappte nach Luft und stieß dann, sehr zur Sorge ihres Mannes, einen lauten Schrei aus und, was schlimmer war, auch zur Sorge des Fahrers, der sich umdrehte und sah, wie die ansonsten völlig gesund wirkende Frau mit schmerzverzerrtem Gesicht ihren Bauch umklammert hielt. Sie bot ein Bild des Elends, und nachdem Zhou bereits einmal die Initiative ergriffen hatte, beschloss er, dies auch ein zweites Mal zu tun. Der Weg zum Großer-Langer-Marsch-Wohnblock führte am Longfu-Krankenhaus vorbei, das wie die meisten Pekinger Lehrkrankenhäuser eine richtige Notaufnahme hatte. Der Frau ging es sehr schlecht und sie war eine Genossin, wie er Mitglied der Arbeiterklasse, und als solche verdiente sie seine Hilfe. Er blickte sich um. Quon gab sich, wie es sich für einen Mann gehörte, redlich Mühe, seine Frau zu trösten, und bekam sonst wenig von dem mit, was um ihn herum vorging.
Ja, beschloss Zhou, das war in dieser Situation das einzig Richtige. Behutsam schob er den Steuerknüppel zur Seite und steuerte sein Gefährt auf die Verladerampe zu, die eher für Lieferwagen als für Krankenwagen gedacht war.
Quon merkte erst nach einer Weile, dass sie angehalten hatten. Doch als er sich anschickte, seiner Frau von der Ladefläche des Dreirads zu helfen, sah er, dass sie sich gar nicht vor ihrem Wohnblock befanden. Nach der Hektik der letzten 30 Minuten noch völlig durcheinander, begriff er zunächst nicht, wo sie waren. Doch dann sah er eine Frau in einer Uniform aus dem Haus kommen. Sie trug eine weiße Haube – eine Krankenschwester? Waren sie hier in einem Krankenhaus? Nein, das ging auf keinen Fall.
Yang Quon sprang zu Boden und wandte sich Zhou zu, um ihm zu sagen, sie seien hier falsch, er wolle nicht hier bleiben. Aber ausgerechnet in diesem Moment legte das Krankenhauspersonal ungewohnten Arbeitseifer an den Tag – die Notaufnahme war nämlich zurzeit fatal leer –, und zwei Männer schoben eine fahrbare Bahre nach draußen. Quon versuchte zu protestieren, aber er wurde von den stämmigen Krankenwärtern einfach beiseite geschoben. Und als Lien-Hua kurz darauf auf die Bahre gelegt und ins Haus geschoben wurde, konnte er nicht viel mehr tun, als mit offenem Mund dazustehen und zuzusehen. Dann holte er tief Luft und stürmte ihr nach, um schon bald von zwei Verwaltungsangestellten angehalten zu werden, die verschiedene Auskünfte von ihm haben wollten, damit sie ihre Einlieferungsformulare ausfüllen konnten. Sie hinderten ihn so abrupt am Weitergehen, wie das sonst nur einem Mann mit einem geladenen Gewehr gelungen wäre, aber wesentlich entwürdigender.
In der Notaufnahme beobachteten eine Ärztin und eine Schwester, wie die Wärter Lien-Hua auf einen Untersuchungstisch hoben. Sie brauchten nur wenige Sekunden, um zu wissen, was los war, und tauschten viel sagende Blicke. Ein paar weitere Sekunden, und Lien-Huas Arbeitskleidung war entfernt und ihr schwangerer
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