Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
die Dechiffrierabteilung geschickt. Weil sich dies jedoch bisher als nicht möglich erwiesen hatte, nahm man beim FSS an, die Chinesen (wenn sie es denn waren) hätten auf die alten KGB-Maßnahme zurückgegriffen, Einmal-Codes zu verwenden, die theoretisch nicht zu knacken waren, weil es kein Schema, keine Formel und keinen Algorithmus gab, den man herausbekommen konnte.
Blieb also nichts anderes übrig, als zu warten, wer die Lieferung abholen käme.
Es sollte Tage dauern. Der FSS setzte drei Fahrzeuge auf den Fall an. Zwei davon waren Transporter, die Kameras mit enormen Teleobjektiven an Bord hatten. Währenddessen wurde Suworow /Koniews Wohnung so aufmerksam überwacht wie der Fernschreiber der Moskauer Börse. Dem Subjekt selbst war ein aus zehn ausgebildeten Männern bestehendes Observierungsteam zugeteilt, dem hauptsächlich Agentenjäger mit KGB-Ausbildung angehörten, aber auch ein paar von Prowalows polizeilichen Ermittlern, weil es genau genommen immer noch ihr Fall war. Es bliebe so lang ein Mordfall, bis ein Ausländer – das hofften sie jedenfalls – die Lieferung unter der Bank abholte.
Da es sich um eine Parkbank handelte, saßen regelmäßig Leute darauf. Zeitung lesende Erwachsene, Comics lesende Kinder, Händchen haltende Teenager, plaudernde Leute und sogar zwei alte Männer, die jeden Nachmittag auf einem kleinen magnetischen Brett eine Partie Schach spielten. Nach jedem solchen Besuch wurde nachgeprüft, ob jemand sich an der geheimen Lieferung zu schaffen gemacht hatte, immer ohne Erfolg. Am vierten Tag begann man deshalb schon laut darüber nachzudenken, ob das Ganze vielleicht ein Trick war, eine Maßnahme von Suworow/Koniew, die ihm festzustellen erlaubte, ob er observiert wurde. Wenn das stimmte, war er verdammt gerissen, mussten sich die Observierungsspezialisten einhellig eingestehen. Aber das war ihnen schon vorher klar gewesen.
Am fünften Tag tat sich schließlich etwas – und es war jemand nach ihrem Geschmack. Der Mann hieß Kong Deshi und war offiziell als subalterner Diplomat registriert. 46 Jahre alt, von eher bescheidener Statur und, der Karteikarte des Außenministeriums zufolge, auch von bescheidenen geistigen Qualitäten – das hieß, höflich ausgedrückt, nichts anderes, als dass er für einen Dünnbrettbohrer gehalten wurde. Aber wie andere bereits festgestellt hatten, war es auch eine perfekte Tarnung für einen Spion. Sie brachte noch zusätzlich den Vorteil mit sich, dass sie die Leute von der Gegenspionage sehr viel Zeit kostete, da sie unterbelichteten Diplomaten durch die ganze Welt folgen mussten, um schließlich irgendwann festzustellen, dass diese tatsächlich nur genau das waren, nämlich unterbelichtete Diplomaten, die es auf der ganzen Welt im Überfluss gab. Der Mann kam mit einem anderen Chinesen anspaziert, der wie ein Geschäftsmann aussah. Nachdem sie auf der Bank Platz genommen hatten, saßen sie eine Weile nur da und unterhielten sich, bis der zweite Mann sich nach etwas umdrehte, worauf Kong gedeutet hatte. Im selben Moment glitt Kongs Hand blitzschnell unter die Bank, um die Lieferung zu entfernen und möglicherweise durch eine andere zu ersetzen. Fünf Minuten später, nachdem beide Männer eine Zigarette geraucht hatten, entfernten sie sich in Richtung der nächsten U-Bahnstation.
»Geduld«, schärfte der zuständige FSS-Beamte seinen Leuten über Funk ein. Deshalb warteten sie über eine Stunde, bis sie schließlich sicher waren, dass keine Autos in der Nähe parkten, von denen aus jemand den toten Briefkasten beobachten könnte. Erst dann ging ein FSS-Mann zu der Bank, ließ sich mit einer Zeitung darauf nieder und entfernte die Lieferung. Die Art, wie er seine Zigarette wegschnippte, verriet seinen Kollegen, dass eine neue Lieferung angebracht worden war.
Im Labor stellte sich sofort heraus, dass der Behälter ein Schloss hatte. Als er daraufhin sofort geröntgt wurde, zeigte sich, dass er neben einer Batterie und verschiedenen Drähten ein halbdurchsichtiges Rechteck enthielt. Dabei konnte es sich nur um eine pyrotechnische Vorrichtung handeln. Demnach war der Inhalt des Behälters wertvoll. Als sie das Schloss nach 20 Minuten aufbekommen hatten, kamen zwei Bogen schnell brennendes Papier zum Vorschein, die, scheinbar willkürlich, eng mit kyrillischen Buchstaben beschrieben waren. Es handelte sich dabei um eine Dechiffrieranleitung für einen Einmalcode, so ziemlich das Beste, was sie überhaupt zu finden hoffen konnten. Nachdem
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