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Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)

Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)

Titel: Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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Frage berührte ihn tief.
    »Es gibt keine Leiche mehr. Mein Mann – sie haben seine Leiche verbrannt und die Asche in den Fluss geschüttet.« Bei diesen Worten brach Chun die Stimme, und sie war nicht mehr imstande, ihre Fassung zu bewahren.
    »Was?«, platzte Wise heraus. »Sie haben die Leiche ohne Ihre Erlaubnis eingeäschert?«
    »Ja«, hauchte Chun.
    »Und man hat Ihnen nicht einmal die Asche übergeben?«
    »Nein, sie ist über dem Wasser verteilt worden, hat man mir gesagt.«
    »Ähm«, war alles, was Wise daraufhin noch hervorbrachte. Als Journalist musste er eine gewisse Neutralität wahren, deshalb behielt er seine Gedanken für sich. Diese miesen Schweine. Solch ein Vorgehen war nicht einmal durch die Unterschiede zwischen zwei Kulturen zu erklären.
    In diesem Moment traf der Polizeileutnant auf seinem Fahrrad ein. Er steuerte sofort auf den Wachtmeister zu, sprach kurz mit ihm und kam dann auf Yu Chun zu.
    »Was geht hier vor?«, fragte er auf Mandarin. Er zuckte zurück, als sich die Fernsehkamera und das Mikrophon auf ihn richteten. Was geht hier vor? , fragte seine Miene die Amerikaner.
    »Ich möchte in mein Haus, aber er lässt mich nicht.« Yu Chun deutete auf den Wachtmeister. »Warum darf ich nicht in mein Haus?«
    »Entschuldigung«, schaltete sich Wise an dieser Stelle ein. »Ich bin Barry Wise. Ich arbeite für CNN. Sprechen Sie Englisch?« , fragte er den Polizisten.
    »Ja.«
    »Und Sie sind wer, wenn ich fragen darf?«
    »Leutnant Rong.«
    »Leutnant Rong, ich bin Barry Wise von CNN. Kennen Sie die Gründe für Ihre Anweisungen?«
    »In diesem Haus finden politische Aktivitäten statt, und deshalb haben die Behörden seine Schließung angeordnet.«
    »Politische Aktivitäten? Aber hier handelt es sich doch um einen Privatwohnsitz – ein Wohnhaus, oder etwa nicht?«
    »Hier finden politische Aktivitäten statt«, wiederholte Rong. »Unerlaubte politische Aktivitäten«, fügte er hinzu.
    »Verstehe. Vielen Dank.« Damit zog sich Wise zurück und wandte sich zur Kamera, während Mrs. Yu sich zu den anderen Gemeindemitgliedern gesellte. Die Kamera folgte ihr zu einem untersetzten Mann, dessen Miene eine gewisse Entschlossenheit widerspiegelte. Er wandte sich den anderen zu und sagte etwas zu ihnen. Daraufhin schlugen alle unverzüglich ihre Bibeln auf, und der Wortführer der Gruppe begann eine Bibelstelle zu lesen. Das tat er laut, während die anderen in ihre Bibeln blickten und stumm mitlasen.
    Wise zählte 34 Personen, etwa gleich viele Männer und Frauen. Und dann sah Wise in das Gesicht des Polizeileutnants. Zunächst spiegelte sich darin Neugier, die jedoch rasch von einem Ausdruck des Verstehens und der Wut abgelöst wurde. Die ›politischen‹ Aktivitäten, deretwegen das Haus nicht betreten werden durfte, waren in Wirklichkeit ein Akt der Religionsausübung, und dass die lokalen Behörden das als ›politische‹ Aktivitäten bezeichneten, war ein weiterer Affront gegen Barry Wises Rechtsbewusstsein. Hier bekamen sie seit langem wieder einmal Kommunismus in Reinform vorgeführt. Das Antlitz der Unterdrückung hatte nie einen schönen Anblick geboten, aber es sollte rasch noch hässlicher werden.
    Es war Wen Zhong, der Restaurantbesitzer, der die spontane Andacht abhielt und dabei aus der Bibel vorlas. Allerdings tat er dies in Mandarin, also in einer Sprache, die keiner der Amerikaner verstand. Die versammelten Menschen folgten seiner Lesung sehr aufmerksam, so dass Wise sich schon zu fragen begann, ob der dicke Chinese hier vor seinen Augen die Leitung der Gemeinde übernehmen würde. Jedenfalls machte der Mann einen recht integren Eindruck, und das war schließlich die wichtigste Voraussetzung für einen Geistlichen. Als Yu Chun sich neben ihn stellte, legte er ihr in einer für Chinesen in der Öffentlichkeit ganz und gar untypischen Geste den Arm um die Schulter. Das war der Moment, an dem sie nicht länger an sich halten konnte und zu weinen begann.
    Dieses Regime ist tatsächlich barbarisch, dachte Wise, obwohl er wusste, dass er so etwas vor laufender Kamera nie sagen dürfte. So sehr ihn dies auch manchmal erboste, gab es in seinem Beruf dennoch bestimmte Regeln, gegen die er nicht verstieß. Aber er hatte eine Kamera bei sich, und diese Kamera zeigte Dinge, die Worte allein nicht beschreiben konnten.
     
    Ohne dass Barry Wise und seine Leute es wussten, hatte Atlanta ihr Material live gesendet und einen Kommentar der CNN-Zentrale eingeblendet, weil es ihnen nicht

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