Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
gelungen war, sich über die Audio-Leitung bei Barry Wise Gehör zu verschaffen. Das Signal ging aus Peking zum Übertragungssatelliten hoch, dann runter nach Atlanta und wieder hoch zu insgesamt vier Nachrichtensatelliten, von denen es in alle Welt ausgestrahlt wurde, unter anderem auch nach Peking.
In den Büros sämtlicher Mitglieder des Politbüros standen Fernseher, und sie konnten somit auch den amerikanischen Nachrichtensender CNN sehen, der für sie eine wichtige Informationsquelle war. Die Bilder fanden ihren Weg darüber hinaus auch in die zahlreichen Hotels der Stadt, wo Geschäftsleute und andere Besucher wohnten, und sogar einige Chinesen konnten CNN sehen, auch sie vor allem Geschäftsleute, die wissen mussten, was außerhalb der Volksrepublik vor sich ging.
Fang Gan sah vom Schreibtisch zu seinem Fernseher auf, der immer angestellt war, wenn er im Büro saß. Nachdem er mit der Fernbedienung den Ton lauter gemacht hatte, hörte er jemanden Englisch sprechen, mit ein paar Fetzen Chinesisch im Hintergrund, die er aber nicht verstehen konnte. Da sein Englisch nicht sehr gut war, rief er Ming in sein Büro, damit sie ihm übersetzte.
»Das ist ein Bericht über etwas, das sich gerade hier in Peking ereignet«, sagte sie ihm als Erstes.
»Das sehe ich selbst, Mädchen!«, herrschte er sie an. »Was sagen diese Leute?«
»Also, äh … Es sind Gefährten dieses Reverends Yu, der gestern von der Polizei erschossen wurde … und seine Witwe … anscheinend halten sie eine Art Trauerfeier ab … ach, jetzt sagen sie, dass Yus Leiche verbrannt und die Asche verstreut wurde, und deshalb kann ihn seine Witwe nicht begraben, und das erklärt ihren zusätzlichen Schmerz, sagen sie.«
»Welcher Wahnsinnige war das?« Fang war von Natur aus zwar nicht unbedingt ein mitfühlender Mensch, aber grundlos grausam war er auch nicht. »Weiter, Mädchen!«
»Sie lesen aus der christlichen Bibel, die Worte kann ich aber nicht verstehen, der amerikanische Sprecher übertönt alles … Der Kommentator wiederholt sich die meiste Zeit, er sagt … ach, ja, er sagt, sie versuchen sich mit ihrem Reporter Wise hier in Peking in Verbindung zu setzen, aber es gibt technische Probleme … er wiederholt nur wieder, was er schon gesagt hat, eine Trauerfeier für diesen Yu, Freunde … nein, Glieder seiner Kirchengemeinde, und das ist eigentlich schon alles. Jetzt erzählen sie noch einmal, was im Longfu-Krankenhaus passiert ist, und sie sagen auch, dass die Leiche des italienischen Geistlichen bald in Italien eintreffen wird.«
Fang griff brummend nach dem Telefon und rief den Innenminister an.
»Stellen Sie Ihren Fernseher an!«, forderte er seinen Kollegen auf. »Sie müssen die Situation sofort unter Kontrolle bekommen, aber gehen Sie umsichtig vor! Das könnte verheerende Folgen für uns haben, fast so schlimm wie diese dummen Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens.«
Ming sah, wie ihr Chef das Gesicht verzog, dann auflegte und »Trottel!« knurrte. Anschließend schüttelte er mit einer Mischung aus Wut und Besorgnis den Kopf.
»Das war’s, Ming«, sagte er nach einer Minute.
Während seine Sekretärin an ihren Schreibtisch zurückkehrte, fragte sie sich, welche Konsequenzen der Tod dieses Yu wohl noch nach sich ziehen würde. Es war vor allem die Sinnlosigkeit und Dummheit des ganzen bedauerlichen Vorfalls gewesen, die ihren Minister so erbost hatte. Er hatte sich sogar dafür ausgesprochen, den verantwortlichen Polizisten zu bestrafen, aber aus Angst, das Land könne dadurch das Gesicht verlieren, hatte man doch Abstand davon genommen. Mit diesem Gedanken machte sie sich achselzuckend wieder an ihre tägliche Arbeit.
Die Anordnung des Innenministers ging rasch hinaus, aber davon bekam Barry Wise nichts mit. Es dauerte noch einmal etwa eine Minute, bis er die Stimmen aus Atlanta in seinem IFB-Kopfhörer hörte. Unmittelbar darauf wurde auch der Ton live geschaltet, und er konnte mit seinem Kommentar für die weltweite Zuhörerschaft beginnen. Während Pete Nichols mit der Kamera unverwandt weiter auf die kleine religiöse Gemeinschaft in der schmalen, schmutzigen Straße hielt, blickte Wise sich ständig um und sah plötzlich den Polizisten, mit dem er kurz zuvor verhandelt hatte, in sein Funkgerät sprechen – es sah nach einem Motorola aus, dasselbe Modell, das auch die amerikanische Polizei benutzte. Er sprach, lauschte für eine Weile, sprach wieder und bekam schließlich etwas bestätigt.
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