Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Ausbildung bitter nötig. Aber jetzt bin ich Pastor, und zwar vollberuflich.« Yu hob die Teetasse, als wolle er auf seinen Triumph anstoßen, und trank einen Schluck.
»Wie sehen Sie die hiesigen Verhältnisse?«, fragte Renato.
»Die Regierung ist durch und durch kommunistisch. Sie toleriert keine anderen Loyalitäten. Sogar die Falun Gong, die ja eigentlich keine Religion ist, wird brutal unterdrückt. Auch die Mitglieder meiner Gemeinde werden immer wieder schikaniert. Es kommt selten vor, dass zum Gottesdienst mehr als nur ein Viertel meiner Gemeindemitglieder erscheinen kann. Ich muss viel Zeit dafür aufbringen, ihnen das Evangelium nach Hause zu tragen.«
»Wovon leben Sie?«, fragte der Kardinal.
Yu schmunzelte. »Das ist das Geringste meiner Probleme. Die amerikanischen Baptisten unterstützen mich großzügig, allen voran mehrere schwarze Kirchengemeinden in Mississippi. Einer meiner Kommilitonen an der Oral Roberts University hat heute eine große Gemeinde in der Nähe von Jackson, Mississippi. Sein Name ist Gerry Patterson. Er war schon damals ein guter Freund von mir und ist es immer noch.« Zu sagen, dass er mit seinem vielen Geld nicht mehr wusste, wohin, verkniff er sich. In Amerika hätte er vielleicht einen Cadillac gefahren und ein stattliches Pfarrhaus unterhalten. In Peking konnte er sich allenfalls ein hübsches Fahrrad leisten und bedürftigen Gemeindegliedern Spenden zukommen lassen.«
»Wo wohnen Sie, mein Freund?«, fragte der Kardinal.
Pastor Yu fischte in der Tasche nach einer Visitenkarte und reichte sie seinem Gegenüber. Wie viele solcher Karten in China zeigte sie auf der Rückseite einen Straßenplan. »Wir, meine Frau und ich, würden uns sehr freuen, Sie zum Abendessen begrüßen zu dürfen. Sie beide natürlich«, fügte er hinzu.
»Vielen Dank. Haben Sie Kinder?«
»Zwei«, antwortete Yu. »Sie sind beide in Amerika zur Welt gekommen und deshalb von den unmenschlichen Gesetzen der Kommunisten hier in diesem Land verschont geblieben.«
»Ich weiß, worauf Sie anspielen«, sagte DiMilo. »Ich bete täglich, dass wir das Christentum hier weiter verbreiten und dazu beitragen können, dass diese Gesetze rückgängig gemacht werden.«
»Ja, das tue ich auch, Eminenz, allerdings. Ich vermute, Sie wissen, was es mit dieser Residenz hier auf sich hat …«
Schepke tippte mit der Hand aufs Ohr und zeigte ringsum. »Ja, das wissen wir.«
»Haben Sie einen Chauffeur?«
»Ja, und dafür bin ich dem Minister sehr dankbar«, antwortete Schepke. »Er ist übrigens Katholik. Erstaunlich, nicht wahr?«
»Stimmt das?«, fragte Yu und schüttelte entschieden seinen Kopf. »Nun, ich bin sicher, er steht auch fest und loyal zu seinem Land.«
»Aber natürlich«, bestätigte DiMilo. Der Kardinal war schon lange genug im diplomatischen Dienst und mit allen Wassern gewaschen. So clever die chinesischen Kommunisten auch sein mochten, die katholische Kirche gab es schon sehr viel länger, auch wenn das die hiesige Regierung nicht zugeben wollte.
Die drei plauderten noch eine halbe Stunde miteinander. Dann zog sich Yu zurück, wiederum mit warmem Händedruck verabschiedet.
»Nun, Franz?«, fragte DiMilo draußen vor der Tür, wo sie unbelauscht miteinander sprechen konnten.
»Den Mann habe ich soeben zum ersten Mal gesehen. Sein Name ist mir allerdings schon öfter untergekommen. Soviel ich weiß, macht ihm die Regierung tatsächlich immer wieder große Schwierigkeiten, doch er ist ein Mann von festem Glauben und alles andere als kleinmütig. Von seinem Studium in den Vereinigten Staaten wusste ich nichts. Wir könnten die Sache nachprüfen lassen.«
»Keine schlechte Idee«, sagte der Nuntius. Nicht, dass er Yu misstraute, er wollte sich einfach nur vergewissern – auch was diesen Kommilitonen anging, diesen Gerry Patterson, der irgendwo in Mississippi als Pfarrer arbeitete. Die Anfrage erging eine Stunde später an Rom, über Internet natürlich, das sich Geheimdiensten als ein überaus nützliches Instrument anbot.
Der Zeitunterschied wirkte sich in diesem Fall günstig für sie aus. Die Nachricht würde bald empfangen, entschlüsselt und an die richtige Adresse weitergeleitet sein. Von dort würde eine neue Nachricht verfasst, verschlüsselt und nach New York geschickt, wo sie Timothy Kardinal McCarthy, der Erzbischof von New York und Leiter der geheimdienstlichen Operationen in den Vereinigten Staaten, schon gleich nach dem Frühstück in Empfang nehmen konnte. Alles Weitere
Weitere Kostenlose Bücher