Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Ambitionen – welcher Minister hätte das nicht –, aber vor allem ging es ihm um das Wohl seines Landes. An seinen eigenen Profit dachte er dabei weniger. Selbstbereicherung in halbwegs bescheidenem Umfang war im Übrigen etwas, das Golowko niemandem verübelte. Die Grenze, die Sergei Nikolaiewitsch zog, lag bei 20 Millionen Euro. Wer mehr wollte, war habgierig. Doch ein Minister, der dem Land gute Dienste leistete, hatte eine ordentliche Belohnung durchaus verdient. Daran würde auch die arbeitende Bevölkerung keinen Anstoß nehmen, solange sie von den Früchten guter Politik profitierte, oder? Nein, der Chefspion sah darin kein Problem. Russland war nicht Amerika, das sich mit sinnlosen, kontraproduktiven ›Ethikverordnungen‹ keinen Gefallen tat. Der amerikanische Präsident, den Golowko gut kannte, hatte zu diesem Thema einen Aphorismus parat, dem der Russe nur beipflichten konnte: Wenn man seine Maximen aufschreiben muss, hat man schon verloren . Der war nicht dumm, dieser Ryan, und obwohl er einst ein Todfeind gewesen war, schien er mittlerweile ein guter Freund zu sein. Golowko hatte sich um diese Freundschaft redlich bemüht und Amerika in zwei sehr ernsten internationalen Krisen die Stange gehalten. Diese Hilfe war zwar gleichzeitig im besten Interesse seines eigenen Landes gewesen, aber nicht zuletzt auch von seiner Hochachtung für Ryan als Mann von Ehre motiviert, der solche Gefälligkeiten nicht vergessen würde. Golowko hatte als Geheimdienstler einen Großteil seines Erwachsenenlebens der Aufgabe gewidmet, dem Westen zu schaden. Nunmehr machte es ihm sogar Spaß, dem Feind von damals zur Abwechslung auch mal etwas Gutes zu tun.
Aber wie stand es um ihn persönlich? Versuchte da jemand, ihm zu schaden? Seinem Leben ein lautes, spektakuläres Ende auf dem Pflaster des Lubjanka-Platzes zu setzen? Je länger er über diese Frage nachdachte, desto beängstigender wurde sie. Es gab, wenn überhaupt, nur wenige geistig gesunde Menschen, die mit Gleichmut über ihr eigenes Ende sinnieren konnten, doch Golowko gehörte dazu nicht. Es war zwar nicht so, dass ihm die Hände zitterten, aber er hatte seinem Major Schelepin nicht widersprochen, als der darauf bestand, seinen, Golowkos, Personenschutz zu verstärken. Er wurde nun in einem täglich wechselnden Auto mit anderer Farbe und über unterschiedliche Routen ins Büro chauffiert – das SVR-Gebäude war so groß, dass er zwischen fünf verschiedenen Anfahrtswegen wählen konnte. Auf Anatolis Veranlassung saß er auch gelegentlich vorn, während irgendein Funktionär seinen Platz im Fond einnahm.
Golowko hatte dieses Thema satt. Er schüttelte den Kopf, öffnete die für heute letzte Akte, überflog das Resümee – und merkte jäh auf. Sofort langte er zum Telefon.
»Golokow hier«, sagte er der Männerstimme, die antwortete.
»Sergei Nikolaiewitsch«, grüßte der Minister freundlich. »Was kann ich für Sie tun?«
»Können Sie mir diese Zahlen bestätigen, Wasili Konstantinowitsch? Sind die denn möglich?«
»Mehr als möglich, Sergei. Sie sind hieb- und stichfest«, klärte Solomentsew den Geheimdienstchef, den wichtigsten Minister und Berater von Präsident Gruschawoi, auf.
»Solkin sjin «, murmelte der. Ach du Scheiße! »Und wie lange liegt das Zeugs da schon so rum?«, fragte er und konnte es immer noch nicht fassen.
»Also, das Öl vielleicht 500 000 Jahre, das Gold wahrscheinlich noch länger.«
»Und wir hatten keine Ahnung davon«, stöhnte Golowko.
»Es hat keiner richtig hingeschaut, Genosse Minister. Der Bericht über das Goldvorkommen hat mir besonders gut gefallen. Diese goldverkrusteten Wolfsfelle würde ich allzu gern einmal sehen. Wäre auch was für Prokofiew. Peter und der Goldwolf, nicht wahr?«
»Interessanter Gedanke«, sagte Golowko, ohne weiter darauf einzugehen. »Welche Folgen hat das für unser Land?«
»Sergei Nikolai’ch, ich bin kein Wahrsager, aber es könnte bedeuten, dass unser Land aus dem Schneider ist. Wir haben jetzt, was alle wollen, und es gehört uns. Um etwas davon abzubekommen, bezahlt uns das Ausland viel, viel Geld, und zwar lächelnd. Die Japaner zum Beispiel. Wir garantieren ihnen, ihren Energiebedarf der nächsten 50 Jahre zu decken, und helfen ihnen nebenbei auch noch, riesige Summen an Transportkosten zu sparen, weil der Lieferweg um einiges kürzer sein wird. Und wahrscheinlich zahlen auch die Amerikaner, obwohl die vor kurzem selbst ein größeres Vorkommen im Grenzgebiet zwischen
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