Im Zeichen des großen Bären
abzuschmusen. Er guckte ihn fragend an, wackelte mit den Ohren, so ein bißchen, und richtete sich auf den Hinterbeinen auf. Dieses Kunststück, das er gern und oft vorführte, brachte an sich immer eine Belohnung ein. Aber jetzt mußte Rockwell häufig den Kopf schütteln.
Das Marmeladen- und Konfitüreschlecken hatte sowieso ganz aufgehört. Von Trockenfrüchten – Datteln und Feigen – konnte keine Rede und kein Brummen mehr sein. Weißbrot war Mangelware. Cornedbeef war streng rationiert.
Webbs meinte, ein Bär sei in erster Linie Pflanzenfresser, jedenfalls für gemischte Kost eingerichtet. In Gefangenschaft brauche er kein oder jedenfalls nur wenig Fleisch. »Er wird zu übermütig. Irgendwann wird er von einer Bärin träumen. Dann ist der Ofen aus«, warnte er.
»Er kennt doch gar keine«, konterte William.
»Er hat sie im Blut«, behauptete Webbs.
»Und … Ich meine, ab wann?«
»Mit vier Jahren wird er nicht mehr träumen, sondern handeln.«
»Bis dahin ist es noch lang.«
»Das hast du vor neun Monaten auch gesagt, William.«
»Die Deutschen schieben Kohldampf.«
»Wir auch.«
William Rockwell nickte. »Da hast du leider recht. Oberst Perkins hat sich aber an das Armeekommando gewandt und um ›flüssigen‹ Nachschub ersucht.«
»Bist du so naiv – oder tust du nur so? Wo nichts ist, da kann nichts sein.«
»Ich träume manchmal von weißen, duftenden Pfannkuchen, ganz frisch aus der Pfanne, in Butter gebraten, und dann Ahornsirup drüber, der sanft und hell vom Löffel rinnt …«
»Du bist beinahe ein Dichter, Junge!«
»Ein hungriger Dichter, Mann!«
Auch Arthur Shenessy hatte Hunger. Und eine Stinkwut auf den ›verfressenen‹ Bären. So opferte er am späten Abend, als Rockwell Wache hatte und der Bär in seiner Nische angebunden döste, eine Stulle mit Cornedbeef.
Shenessy atmete tief durch. Er war allein mit dem Bären. Sein Herz klopfte wild, als er den Leckerbissen neben die Schnauze des Tieres warf.
Der Bär atmete noch zweimal tief durch, dann hatte der Duft sein Gehirn erreicht. Er öffnete die Augen, und da lag es. Den Augenblick, als der Bär den Kopf zu dem Brot hinwandte, nutzte Shenessy: Er löste die Kette, dann verschwand er und ließ das Gatter weit offen, plazierte vorsichtshalber neben dem Eingang noch ein Stückchen Cornedbeef und lief davon, wobei er sich selber nicht klar darüber war, ob er sich mehr vor dem Bären fürchtete oder vor den Kameraden. Wahrscheinlich vor letzteren. Sie hätten ihn gelyncht oder jedenfalls verdroschen.
Niemand schöpfte jedoch Verdacht. Alle meinten, Rockwell habe den Bären vielleicht nicht richtig festgemacht, und dies nun gewiß nicht mit Absicht.
So gab es im Abschnitt der 3. Kompanie nächtlichen Alarm! Der Bär von St. Jules war verschwunden!
Rockwell stand stramm und bat Powell, der inzwischen zum Oberleutnant befördert worden war, gehorsamst, am Suchtrupp teilnehmen zu dürfen.
Powell war sauer, und außerdem kannte er seine Männer. Moralisch wäre es ein Schlag, wenn das Tier nicht wieder eingefangen wurde. Ratten verließen das sinkende Schiff. Wer wußte, was die Flucht des Bären bedeutete?
Er sandte sternförmig Streifen aus und schwankte zwischen der Pflicht, die Flucht des Regimentsmaskottchens auch höheren Ortes zu melden, und der Hoffnung, den Bären zu finden. Vielleicht kam er sogar von selber wieder?
Mehrere Freiwillige, darunter natürlich Rockwell und Webbs, krochen und robbten durch die Dunkelheit und lauschten angestrengt auf wohlbekannte Laute. Brummte es dort nicht?
Nein, das war Einbildung gewesen.
Sie fanden ihn nicht. Und so mußten sie Farbe bekennen. Rockwell fühlte sich ganz zerschlagen, müde, schuldbewußt, tieftraurig. Das Verschwinden ›seines‹ Bären erschien ihm wie ein Symbol des verlorenen Glücks.
Sogar Shenessy war betroffen über die Verstörtheit, die durch das Verschwinden eines Tieres ausgelöst worden war.
Um das Maß vollzumachen, erschien just am Tage nach dem Verschwinden ihres Maskottchens Adjutant Clark, um ihnen persönlich die erfreuliche Botschaft zu bringen, die 3. Kompanie werde übermorgen allen Ernstes in die Etappe zurückgezogen. Welch einen Freudentaumel hätte diese Nachricht ausgelöst, normalerweise! Doch nun war es eben nicht normal. Der Bär war weg! Und Clark versäumte nicht, ein paar spitze Bemerkungen anzubringen, die in der Bemerkung gipfelten, einen Bären mit Unmengen von Süßigkeiten zu halten sei eben keine Kunst. »Das ist wie in der
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