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Im Zeichen des großen Bären

Im Zeichen des großen Bären

Titel: Im Zeichen des großen Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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daß ich mich inzwischen auch schon an den Burschen gewöhnt habe. Er bringt so eine menschliche Atmosphäre in diesen tierischen Laden, nicht?«
    Die Männer stimmten lachend zu. Bis auf Arthur Shenessy, der sich keineswegs an den Bären gewöhnt hatte.
    Es wäre übertrieben zu sagen, daß der Bär den Winter einfach verschlafen hätte. Nein, er machte schon einmal einen kleinen Spaziergang an der Leine und verrichtete auch sein Bärengeschäft. Aber sein Temperament war gebremst. Alle Funktionen liefen auf Sparflamme ab – bis auf das Wachstum.
    Denn wachsen tat er! Als der Frühling wirklich kam und der Bär von St. Jules voller Tatendrang brummte und sich wiegte und an der Kette, die man ihm inzwischen verpaßt hatte, zog, da riefen die Soldaten ein übers andere Mal das, was Tanten und Onkel Kindern, die sie längere Zeit nicht gesehen haben, zuzurufen pflegen: »Nein, bist du aber groß geworden!«
    Von Anfang an hatten sie ihm mehr als Tierliebe entgegengebracht. Auch mehr als das leicht erhebende Gefühl, ein ausgefallenes Maskottchen zu haben. Dieser Bär brachte ihnen durch seine pure Anwesenheit wirklich die abergläubische Gewißheit, daß alles gut gehen werde. Er war ein Glücksbringer, ein Maskottchen im wirklichen Sinne des Wortes. Und wenn es den einen und den anderen doch traf, wenn er in der fremden Erde begraben wurde und sie seine Habseligkeiten an die Frau, die Kinder, die Mutter schickten, der Liebsten seinen angefangenen Brief sandten, dann glaubten sie trotzdem, daß alles gut werden müsse.
    Der Bär von St. Jules tat sein Möglichstes, für Ablenkung zu sorgen. Er hatte Kraft entwickelt, die er gutwillig, aber oft täppisch hart einsetzte. Er stieß gestandene Männer glatt um, und wenn ihm jemand einen guten Happen zugedacht hatte, tat er besser daran, den aus einiger Entfernung zu servieren. Der junge Bär biß manchmal leider zu. Ein Finger wäre kein Problem für ihn gewesen. Wo hätte er auch üben sollen, so ohne echte Bärenkinderstube, ohne die Mutter, die ihm mal eins übergezogen hätte, ohne Geschwister, die ihn in seine Grenzen hätten verweisen können? Zu Rockwell war er lieb. Vor Webbs, dem geübten Tierpfleger, sah er sich vor. Er war eine Institution auf dem ganzen Abschnitt. Nach jeder etwas heißeren Unternehmung riefen denn auch die anderen Kompanien bei der 3. an. »Lebt er?«
    »Jawohl, er lebt!«
    Je nach Temperament schrien die Kameraden: »Hurra!« oder: »Halleluja!«
    Deutsche Gefangene hatten verraten, daß sogar drüben Interesse am Bären bestand.
    Der Schneider des 2. Bataillons der Kanadier schickte eine Art ›Ausgehuniform‹, doch schon bei der ersten ›Anprobe‹ mußten die Männer den Versuch aufgeben, ihr Maskottchen in eine schmucke Uniform zu stecken. Der Bär benahm sich ausgesprochen affig, riß einen Riemen ab und tat nachher schnell so, als sei das Ganze ein lustiges Spiel zwischen ihm und Rockwell gewesen. Webbs bemerkte nur einmal mehr, das Tier gehöre in die Obhut eines Zoos. Shenessy aber schüttelte den Kopf und beschloß, etwas zu unternehmen. Es war doch wirklich unwürdig, wie gestandene Männer, die Tod und Teufel trotzten, sich hier von einem Bärenflegel kujonieren ließen!
    Ohne mich! dachte Arthur Shenessy. Ich werde nicht mehr reden, sondern handeln. Eines Tages könnten sie mir sogar dankbar sein, denn der Augenblick ist nicht mehr weit, daß dieser braune Geselle hier ein Blutbad anrichtet. Außerdem, und das ist gewiß nicht unwichtig, frißt er uns die letzten Lebensmittel weg. Wir hungern, und der Bär frißt sich die Hucke voll. Wo hat man das jemals gehört, daß Menschen einem Tier zuliebe hungern?
    In der Tat: Die Verpflegung war knapp. Sehr knapp. Die Deutschen hatten versucht, den Spieß umzudrehen, zumindest Revanche zu nehmen. Auch die Franzosen und die Engländer hatten schließlich diese Adern, die man verschließen und abklemmen konnte. Ohne Nachschub waren sie aufgeschmissen. So blieben allmählich die edlen Güter aus. Schmalhans wurde Küchenmeister. Eine Tagesration mußte auf zwei Tage gestreckt werden. Warme Verpflegung gab es nur noch an besonderen Tagen, wenn die Essenholer den Sperrgürtel der feindlichen Artillerie durchbrachen. Die eisernen Bestände des Regiments schmolzen nur so dahin. Ein deutscher Zufallstreffer stampfte ein Reservelager in den Boden. Oberst Perkins' Stirn umwölkte sich zusehends. Die Lage wurde kritisch.
    Der Bär versuchte, seinem geliebten Leitmenschen auf bewährte Art etwas

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