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Im Zeichen des großen Bären

Im Zeichen des großen Bären

Titel: Im Zeichen des großen Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sonst hätte er ihn ja wohl kaum errettet. Shenessy war ihm sehr dankbar. Von den Datteln in seiner Tasche und Kitcheners wahrem Motiv ahnte er nichts. Er hatte nie wieder an die Datteln gedacht.
    So kam es, daß Shenessys Pudding schließlich als Hauptköder im Transportkäfig stationiert wurde und seinen Zweck auch voll erfüllte. Kitchener trottete wie ein Kind, das Ostereier sucht, von Leckerbissen zu Leckerbissen und nahm in vorbildlicher Haltung neben der leeren Puddingschale die Tatsache zur Kenntnis, daß er plötzlich in einer anderen Behausung saß, die verschlossen war und sogar fahren konnte.
    William, Powell und Wood machten trübe Gesichter, doch dann gewann die Vorfreude auf die Heimat die Oberhand. Vieles mußte erledigt werden. Für Kitchener war es die beste Lösung. Die Fähre brachte ihn von Calais nach Dover.
    Rockwell kniff die hellen Augen zusammen und murmelte: »Adieu, Kitchener. Wir sehen uns wieder, alter Junge! Bestimmt! Versprochen!«
    Die Fähre tutete dreimal, ihr Motor stampfte, und der Bär lag verwirrt in seinem Käfig und brummte und litt. Plötzlich war er wieder ganz verlassen. Schreckliche Dinge passierten mit ihm. Es schaukelte, viel später rollten lauter fremde Gestalten seinen Käfig in andere fremde, rollende, stampfende Kisten, und dann wurde sein Käfig geöffnet, und vor ihm lag ein geräumiger, ganz und gar fremder Raum, und furchtbar viele anders riechende Menschen schnatterten drumherum.
    Die Presse war versammelt. Der ›Frontbär‹ machte Schlagzeilen. Der Krieg war aus. Man konnte sich wieder originellen Geschichten widmen. Sehr gut gelaunt war der Veteran allerdings nicht, auch nicht possierlich. Aber ohne Frage war er über Jahre in heißen Schlachten das Maskottchen eines kanadischen Regiments gewesen.
    »Und jetzt frißt er hier das Gnadenbrot?« fragte ein Reporter.
    Chuck Brady aber liebte den Bären bereits und erklärte deshalb so richtig von oben herab: »Kein Gnadenbrot. Er zahlt selber.«
    Dann kam für Kitchener die Einsamkeit. Er war müde. Nichts als seine Ruhe wollte er haben. Die Natur forderte ihr Recht. Kitchener döste und schlief vor sich hin. Und seine Bärenseele entspannte sich. Er wurde schlank und männlich. Und eines Tages erwachte er wieder einmal, und da war eine Tür offen. Sie führte ins Freie, in einen wunderschönen Park, wo Gras und Büsche wuchsen. Ein herrlicher Wassergraben schloß sich an. Kitchener tapste darauf zu und trank. Köstlich! Er warf sich auf den Rasen. Die Sonne schien auf seinen Bauch, als er alle Viere von sich streckte.
    Was aber wirklich sensationell war: Da waren noch andere. Nein, nicht solche Zweibeiner, sondern großartig aussehende, braune, langhaarige Vierbeiner. Wie ein Kind weiß, was es an der Mutterbrust zu tun hat, so wußte Kitchener, daß diese Wesen Bärendamen waren. Er richtete sich auf und musterte sie. Sie taten harmlos und schielten zu ihm hin. Kitchener holte Luft und brummte ganz tief aus dem Bauch heraus. Er war noch nicht ganz und gar erwachsen, aber doch schon recht erwachsen. Und er fühlte es deutlich: Sein Schicksal hatte sich erfüllt. Er war ein Pascha!
    Um die Schönen zu beeindrucken, machte er seine Glanznummer vor: Er richtete sich auf den Hinterbeinen auf. Die Damen waren hin! Und sofort ergab sich im Bärengehege des Londoner Zoos eine neue Konstellation. Die Damen kämpften mit größter Erbitterung um die Rangordnung. Denn auch das wußten sie instinktiv: Dieses köstliche Exemplar würde sich der Siegerin, der ranghöchsten Lady, zuwenden. Der Frühling hatte begonnen!

2
    Als Madame Tissot die Aula betrat, verstummte das Stimmengewirr augenblicklich. Erwartungsvolle Stille breitete sich aus. Sie schien die zitternde Erregung in dem hohen, hellen Raum aufzunehmen und zu tragen, bis sich allen Festgästen etwas davon mitgeteilt hatte.
    Madame nahm ihren Platz auf dem Podium ein. Auf ihr Zeichen hin brauste Orgelklang auf. Alice senkte die Lider. Wie immer, wenn die Orgel einsetzte, kamen ihr die Tränen. Es war ein reiner Reflex, obwohl heute durchaus auch wirklich Grund bestand, gerührt und traurig und froh zu sein.
    Der Chor des Internats hatte sich rechts vom Podium aufgestellt, lauter frische, reizvolle Mädchen, kleinere und größere, in schwarzen langen Röcken und weißen Blusen mit Spitzeneinsatz, Haare in Blond, Rot, Braun und Schwarz, weiße und rosa Haarschleifen, gerötete Wangen, aufmerksame Blicke. Heute waren viele Ehrengäste versammelt. Der Chor des

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