Im Zeichen des großen Bären
Galerien betrachteten.
Der Buckingham-Palast, die Westminster Hall, das Parlament … Londons City schien Reichtum und soziale Sicherheit zu garantieren. Und die Leute bewegten sich hier, als seien sie ganz erfüllt von dieser Gewißheit.
Jim hatte sich im Zoo angemeldet. Der Direktor persönlich empfing ihn, und auch Chuck Brady schüttelte ihm die Hand. Es sei ihnen eine Ehre, den Sohn ihres kanadischen Gönners empfangen zu dürfen, erklärte der Direktor. Brady berichtete schmunzelnd, daß schon einige Reisegruppen aus Ontario von ihrem Recht Gebrauch gemacht hätten, kostenlosen Eintritt im Zoo zu haben. Sie seien alle sofort zu Kitchener gegangen. »Er muß doch wirklich eine Berühmtheit bei Ihnen sein«, sagte er, »aber hier ist er es auch, das dürfen Sie mir glauben. Möchten Sie, daß ich Sie zu den Bären begleite?«
»Nein, nein. Vielen Dank. Ich gehe gern allein. Heute begeht das Regiment meines Vaters den ›Kitchener-Tag‹ als großes, zehnjähriges Jubiläum. Ich bin zwar nicht übermäßig sentimental, aber ich weiß, daß es im Sinne meines alten Herrn ist, wenn ich versuche, persönliche Zwiesprache mit Kitchener zu halten. Schließlich war ich ein kleiner Junge, als der Bär in mein Leben trat, wenn auch nur brieflich.«
Sie lachten und verabredeten für einen der nächsten Abende ein Treffen zum Dinner. Dann schlenderte Jim durch den Tierpark. Es war noch einmal ein milder Tag. Die Sonne schien, und der Golfstrom tat seine Pflicht als große Heizung der Natur. Das Laub der Bäume schimmerte schon in den bunten Herbstfarben. Späte Hummeln und Schmetterlinge waren unterwegs. Im Papageienhaus lachte ein bunter Vogel schrill und laut.
Auch Kitchener ignorierte die saisonbedingte Müdigkeit, die ihn seit ein paar Tagen gepackt hielt, und trottete durch sein Gelände. Es waren noch einige Gaffer da, und weil sie ihm manchmal leckere Sachen zuwarfen – was eigentlich verboten war, Kitchener jedoch keinerlei Sorgen bereitete –, machte er seine unfehlbare ›Glanznummer‹: Er richtete sich auf den Hinterbeinen auf und winkte mit den Vorderläufen. Daraufhin gerieten die Gaffer erfahrungsgemäß stets aus dem Häuschen vor Begeisterung und warfen ihre Delikatessen herüber.
So erblickte Jim Rockwell den Bären Kitchener zum erstenmal. Ihm stockte der Atem. Ein Riesentier! Ein vorsintflutliches Ungeheuer! Groß wie ein Grizzly! Überwältigend! Und sehr furchteinflößend! Nun, damals, vor zehn Jahren, war der Bär ja wohl viel kleiner gewesen.
Jim starrte das Tier fasziniert an. Bildete er es sich ein, oder guckte Kitchener ihn wirklich fest an? Es waren ja noch andere Leute da, aber in diesem Fall bestand doch wohl kein Zweifel. Auch als der Bär sich wieder gemütlich auf allen Vieren niederließ, fixierten er und Jim einander.
Grüße von William Rockwell, alter Junge, dachte Jim. Du bist für ihn das Symbol für Leben und Aufstieg geworden, gar kein richtiger Bär eigentlich, sondern die Idee eines Bären. Du bist groß und stark und sehr eindrucksvoll, das sehe ich nun selber und werde es nach Kanada berichten. Du hast deine Kumpels von damals bestimmt längst vergessen. Oder nicht? Starrst du mich so an, weil ich jetzt aussehe wie mein Vater in jenen Tagen?
Jim mußte lächeln. Ich werde eine Bärenseele gewiß nicht ergründen. Aber vielleicht verstehe ich meinen Vater ein wenig besser. Ein Mann, der sein Herz an eine solche Kreatur hängt, der kann nicht so hart und supermännlich sein, wie er sich meistens gibt. Er hat wohl nur gelernt, weiche Regungen zu verstecken. Wenn er Mutter manchmal ansieht oder wenn er mit ihr seine Späße macht, dann kann man etwas davon spüren. Und auch, wenn er mit Percy spielt … Gleich beschlich Jim wieder Niedergeschlagenheit. Nein, er wollte nicht eifersüchtig sein auf seinen kleinen Bruder, auf dieses nette, vertrauensvolle Kerlchen.
Heute werden sie alle an mich denken, überlegte er, und Mabels Vater wird mit seiner hellen Stimme eine schneidige Ansprache halten. Er atmete tief durch. Ich habe doch wohl kein Heimweh? Mein Gott, ich habe Heimweh!
Dann sah er die Dame im dernier cri und das zierliche junge Mädchen daneben. Er schloß ganz kurz die Augen und öffnete sie in der Überzeugung, seine sentimentale Stimmung habe ihm soeben einen Streich gespielt.
Aber nein. Sie war noch da! Die Dame schlenderte weiter, zu einer Bude, an der Besucher Erdnüsse und Knabberzeug für die Tiere kaufen konnten.
Das Mädchen blieb stehen und sah
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