Im Zeichen des großen Bären
gemeint«, bestätigte William Rockwell. »Aber Jims Mutter macht sich Sorgen. Sie denkt doch immer noch, er wäre ihr kleines Kind.«
Natürlich machte Jenny sich Sorgen. Davon war ihr jedoch nichts anzumerken, als sie lächelnd und scherzend an ihrem Stand Kaffee ausschenkte und Torte auf Teller legte, den kleinen Percy im Auge behielt, der überall herumwackelte und seine Nase in alles steckte, und Lucille freundlich bestimmt anleitete, ihr zur Hand zu gehen.
Ja, Jenny machte sich Sorgen, aber im Grunde war sie überzeugt, daß Jim es schon richtig machen würde. Ihr großer Sohn! Der Mann, der ihr als Knabe zur Seite gestanden hatte, als sie manchmal so schwach und verzweifelt gewesen war. Dieser Gedenktag an den Frieden rührte auch viel Schmerzliches auf. Vor allem aber stimmte er dankbar. Und Jim würde eines Tages zurückkommen. Sicher kommt bald ein Brief von ihm, dachte Jenny. Plötzlich wird er auf der Matte stehen und mich mit seinen hellen Rockwell-Augen ansehen und rufen: »Hallo, Mom, da bin ich wieder!« Wer weiß, vielleicht kommt er gar nicht allein? Es wäre doch nicht ausgeschlossen, daß er ein Mädchen nach seinem Geschmack kennenlernt und die große Liebe, die ihm bisher nicht begegnet ist. Eine Liebe wie zwischen mir und seinem Vater. Ich wünsche sie ihm. Und uns, William und mir, wünsche ich ein Enkelkind. O ja, das wünsche ich uns von Herzen.
»Sie strahlen ja so, Frau Rockwell?« fragte Oberst Powell in ihre Gedanken hinein mit seiner hellen Stimme. »Darf ich um ein Stück von dieser Apfeltorte bitten? Sieht ja prächtig aus. Schon Nachricht von Ihrem Sohn?«
Jenny schüttelte den Kopf.
Der Oberst seufzte. »Ja, es stimmt schon, Frau Rockwell: Kleine Kinder, kleine Sorgen. Aber große Kinder, große Sorgen. Wenn sie erst flügge sind, kann man sie nicht mehr richtig beaufsichtigen. Ist es nicht so?«
Da mußte Jenny herzlich lachen. »Das trifft den Nagel auf den Kopf!«
4
Es war just der 11. November 1928, an dem Jim Rockwell den Londoner Zoo betrat, um dem Bären Kitchener endlich den Besuch abzustatten, den er seinem Vater William versprochen hatte.
Er hatte sich damit nicht ganz so beeilt, wie sein Dad es wohl eigentlich erwartet hatte. Aber Europa – das war eine aufregende Erfahrung, ein aufwühlendes Erlebnis. Hier lagen die Wurzeln. Frankreich vermittelte genau jenes Lebensgefühl, das in Montreal gepflegt wurde. Und auch für einen Sohn hielt es Erschütterungen bereit, wenn er an des Vaters Berichte vom großen Krieg dachte und nun plötzlich auf jenem blutgetränkten Boden stand, Flüsse sah, die umkämpft worden waren, Hügel, an deren Fuß Menschen unter Qualen gestorben waren. Trügerisch und vollkommen hatte die Zeit ihren Mantel darüber gebreitet. Die Natur war gnädig darüber hingewuchert. Nur die Soldatenfriedhöfe und Gedenksteine auf den Schlachtfeldern und kärgliche Überreste der Bunkerbauten kündeten noch von jener unseligen Zeit.
Jim seufzte. Er war durch Belgien gefahren und hatte auch dort die Spuren des Krieges gesehen. Diese Reise brachte ihm auch das Wesen seines Vaters näher, dem er doch äußerlich so ähnlich war.
Bei der Überfahrt war da dann dieses Mädchen gewesen. Eine Alice. Alice im Wunderland. Eine zauberhafte kleine Person. Er hatte sie gesehen und war überwältigt gewesen.
Und dann habe ich mich wie ein Idiot benommen, sagte Jim sich zum hundertsten Mal. Wie ein heißer Bock bin ich auf sie losgegangen. Meine Güte, Mädchen wie Mabel haben mich total verdorben. Kann ich denn nicht mehr eine kokette Miss von einer wohlerzogenen jungen Dame unterscheiden? Als sie davongerannt war, hatte Jim sich geschämt. Er konnte wohl kaum hinterher laufen, sie festhalten und sagen: »Entschuldigung, ich wußte nicht, was ich tat!« Am besten, man trank einen Whisky und vergaß die Geschichte.
Bei der Landung hatte er noch so gedacht. Dann war es wie ein Blitz in ihn gefahren: Ich muß sie sehen! Ich werde ihr alles erklären! Aber da war sie schon verschwunden gewesen. Nun, man konnte nie wissen, wozu etwas gut war. Vielleicht hätte die Begegnung genau so eine Enttäuschung ergeben wie die Affäre mit seiner einst so angebeteten Mabel.
Jim hatte in London natürlich zuerst die National Gallery besichtigt. Das war eine einzigartige Ansammlung von Kunstwerken, und Jim schwankte zwischen Entmutigung und der leidenschaftlichen Hoffnung, eines Tages auch zu den Großen zu gehören, deren Werke die Menschen andächtig in den Museen und
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