Im Zeichen des großen Bären
Beste. »Kommen Sie doch morgen zum Dinner«, schlug sie vor, während sie sich bemühte, die tiefen Blicke des jungen Mannes zu ihrer Großnichte und umgekehrt zu ignorieren, »mein Mann wird dann auch da sein. Das wäre doch nett.«
Jim senkte den Kopf. »Ich muß nach Paris zurück«, gestand er. »Ich habe mich für das Wintersemester an der Kunsthochschule eingeschrieben. Diese Abrundung meiner Kenntnisse ist für mich lebensnotwendig.« Er blickte Alice beschwörend an. »Ich komme wieder. Im Frühling. Wenn du auf mich warten würdest …«
Bettie Neary lachte erleichtert. »Wir werden uns schon die Zeit vertreiben, nicht wahr, Alice? Ein sehr vernünftiger Entschluß ist das, Herr Rockwell.«
Alice senkte den Kopf und dachte, daß der Hagelschauer gestern wohl doch eine symbolische Bedeutung gehabt hatte.
Aber da sagte Jim auch schon: »Ich werde jedoch noch eine Woche hier in London bleiben und nehme Ihre Einladung deshalb sehr gern an, gnädige Frau!«
Die Sonne schien also wieder. Eine Woche, lieber Himmel, das war für Verliebte eine Ewigkeit. Da konnte man alle Sterne vom Himmel holen und alle Geschichten der Welt erzählen und alle Zärtlichkeiten tauschen, die zu einer großen, romantischen Liebe gehören.
»Wirst du mir auch nach Kanada folgen? Als meine Frau?« fragte Jim beim Abschied und küßte seiner geliebten Alice die nassen Wangen, die Hände, die Stirn, die Augen, die Halsgrube und den zitternden Mund.
Jetzt lächelte sie unter Tränen. »Meine Eltern sind fahrendes Volk gewesen, das habe ich dir ja erzählt, Jim. Davon muß die Tochter doch etwas geerbt haben. Ja, ich komme gern mit dir. Ich folge dir bis ans Ende der Welt, wenn du willst.«
Die Hochzeit zwischen Jim Rockwell und Alice Kellenhusen fand im Mai statt. Ben und Bettie Neary hatten darauf bestanden, sie in London auszurichten. London sei immerhin der Mittelpunkt der Welt, hatte Bettie ihrer Schwester Deborah zu verstehen gegeben, als diese zuerst uneinsichtig verlangt hatte, die Hochzeit müsse in Thießendorf stattfinden.
»Liebste Deborah, das ist doch lächerlich. Die vielen Gäste würden eure Klitsche gar nicht finden. Du ahnst wahrscheinlich nicht, was da auf dich zukäme! Die gesamte Presse wird sich für diese ›Bärenhochzeit‹ interessieren. Eine alte Dame hat nämlich alles ausgequatscht. Sie steht hier mit einem Bären auf vertraulichem Fuß und wird ›Pudding-Lady‹ genannt«, hatte Bettie ihrer Schwester telefonisch verraten.
»Das klingt ziemlich verrückt, Elizabeth!«
Nun waren sie alle gekommen. Von dem Säulenvorbau der klassizistischen Villa nordöstlich vom Regent's Park, wo die prächtigsten Wohnungen der Reichen lagen, wehten die Fahnen. Die große Halle war ein Blumenmeer. Vor der Kirche hatten sich Reporter und Zuschauer von der Straße versammelt, und ein langgezogener Seufzer ging durch die Menge, als die weiße Hochzeitskutsche endlich vorfuhr, gezogen von vier Schimmeln.
Die Braut war in ein weißes Stickereikleid gekleidet, der lange Schleier über und über mit Maiglöckchen besteckt. Als der Bräutigam im Cutaway ihr heraushalf und sie sich aufrichtete, sah sie so zierlich und blaß aus, daß die Menge abermals seufzte. Jim setzte seinen Zylinder auf und reichte Alice den Arm. Die Glocken setzten ein und läuteten ihnen auf ihrem ersten gemeinsamen Weg als Paar, das von nun an allen Stürmen des Lebens gemeinsam trotzen und alle Freuden zusammen genießen wollte.
Die St. Margaret's Church war gerammelt voll. Links und rechts vom Altar hatten Alices Großeltern Kellenhusen und natürlich Großonkel und -tante Neary Platz genommen. Ernst und gesammelt saß dort William Rockwell, und neben ihm wischte sich Jenny, die Bräutigamsmutter, verstohlen die Nase und die Augen. Lucille hatte geschmollt, weil sie nicht mitfahren durfte, aber sie mußte auf den kleinen Percy aufpassen. Mit einem kleinen Kind trat man eine so aufwendige Reise nun einmal nicht an.
Auf den Bänken waren die vielen Freunde und Verwandten der beiden Familien aufgereiht, aber auch eine uralte Dame mit einem geradezu atemraubenden Blumenhut thronte dort, dezent fotografiert von den Pressereportern. Die Pudding-Lady!
Und wer waren die etwas verlegenen Gestalten, die sich, teils städtisch, teils bäuerlich wirkend, im Hintergrund zusammendrängten? Nun, wer sich auskannte, konnte leicht feststellen, daß das 159. Infanterieregiment von Ontario eine Abordnung geschickt hatte. Oberst Powell hatte tief in die
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