Im Zeichen des großen Bären
Tschechoslowakei‹, und die Konferenz von München stand vor der Tür. Chamberlain und Daladier glaubten noch an eine Wendung zum Guten, wenn man dem braunen Herrscher nur etwas Auslauf gönnte.
Trotzdem blickten die Menschen in England gerührt auf die Nachricht vom Tod des Regimentsbären Kitchener. Sie schüttelten die Köpfe. Die Älteren dachten flüchtig zurück an die Kriegszeit. Gott sei Dank, das war ausgestanden! Es sah zwar nicht gut aus in der Welt, aber wann sah es denn schon wirklich einmal gut aus? Nein, jeder mußte versuchen, dem Leben kleine Freuden und Erlebnisse abzuluchsen, jeden Tag aufs neue, denn das Dasein bestand nun einmal aus vielen einzelnen Tagen und unzähligen neuen Anfängen.
In den Zeitungen war Kitchener abgebildet mit Fotos aus seinen Glanzzeiten, mit Rose, auf den Hinterbeinen stehend und winkend – und natürlich fehlte das vergilbte Foto nicht, auf dem der ulkige Bursche mit seinem Regiment posierte und einen Stahlhelm trug.
Die Leute schmunzelten und meinten, der habe sein Leben mal wirklich gelebt! Dann gingen sie zur Tagesordnung über, wie es sich gehörte.
Auch die Betroffenheit in Kanada hielt sich in Grenzen. Klar, jeder mußte mal abtreten. General Powell ließ natürlich die Fahnen auf halbmast setzen. Die Männer, die mit in London gewesen waren, durften sie herablassen. Powell ließ antreten und krähte einige markige Worte. Ihm ging Kitcheners Tod schon nahe, denn mit dem Tier schien auch ein Stück seines eigenen Lebens dahingegangen zu sein. Er biß aber die Zähne zusammen, mahlte mit den Kieferknochen, reckte sich zwei Zentimeter höher als üblich und bewahrte Haltung.
Zu diesem Zeitpunkt lag William Rockwell in seinem breiten, niedrigen Bett und wartete. Percy stand wie angewurzelt am Fußende des Bettes, eine kräftige, ländlich wirkende Erscheinung. Er blickte den Vater aus denselben hellen Augen an, die dieser gehabt hatte, als er noch gesund und kräftig war. Nun war Williams Blick trübe. Aber er lächelte gefaßt, ja gelassen seiner kleinen Jenny zu, deren Gesicht vor Kummer geschrumpft zu sein schien. Ganz klein und grau war es, und die Lider hatten rote Flecken, die William verrieten, daß sie heimlich geweint hatte.
William hatte sich ein zusätzliches Kopfkissen unterschieben lassen, so daß er fast saß im Bett. Auf Umwegen erwischte ihn der längst vergangene Krieg jetzt doch noch. Ein Splitter hatte sich vereitert. Ein Blutgerinnsel war auf Wanderung durch den Körper gegangen und hatte das Herz erreicht.
Das Reden fiel William schwer. Die Puste war knapp. Trotzdem fand er, daß sie alle ein bißchen zu viel Aufhebens um ihn machten. »Percy?«
»Ja, Dad?«
»Wirst du es schaffen, mit Mom zusammen?«
»Mach dir bloß keine Sorgen, Dad!«
»Tu' ich nicht. Söhne, Tochter, eine liebe Frau, ein Haus, ein Lebenswerk, ein bißchen Wohlstand und viele glückliche Stunden – das war schon etwas. Da kann ich dankbar sein. Ein bißchen Gesundheit hätte ich mir gern noch gewünscht. Aber alles bekommt man eben nicht.« Er seufzte.
Jenny trat zu ihm und wischte ihm den Schweiß von der Stirn.
»Jenny, du warst immer eine gute Frau.«
»Sprich nicht so … in der Vergangenheit, William Rockwell. Nimm dich gefälligst zusammen«, sagte sie möglichst forsch.
Tatsächlich mußte er lächeln. »Nun guck' sich einer diese kleine Person an! Immer groß den Schnabel auf. Hör immer gut zu, was sie sagt, Percy, das lohnt sich allemal. Ich weiß es.«
»Bestimmt, Daddy.«
»Jenny«, fuhr William fort, »ich war manchmal ein ungehobelter Klotz. Oft hast du sicher gedacht, dem könnte ich mal eine langen, aber dann hast du geschwiegen und nach einer Stunde wieder gelächelt. Ich habe das alles wohl gemerkt. Mit einer solchen Frau kann ein Mann Bäume ausreißen. Mit einer Frau wie Mom zur Seite, Percy, wird aus einem normalen Mann ein Sieger. Merk dir das, wenn du mal ans Heiraten denkst.«
»Bestimmt, Dad!«
»Jetzt mach aber mal einen Punkt, William Rockwell«, sagte Jenny möglichst streng und klopfte ihm die Kopfkissen zurecht. »Ich werde ja richtig verlegen. Soll ich nicht doch lieber Lucille und unseren Jim anrufen? Nur so, damit sie dir gut zureden?«
»Also meinetwegen. Mach nur. Sie sollen auch die Gören mitbringen. Ich will sie alle noch einmal sehen.« Erschöpft hielt William inne. Er röchelte leise.
Jenny ging auf die Diele hinaus und ans Telefon. Sie verständigte auch ihren Hausarzt, daß es schlimmer geworden sei. Sie weinte
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