Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
sagte Billy T.
Konnte der Mann Gedanken lesen?
»Ich wurde jahrelang bei Straßenunruhen eingesetzt«, fügte der Polizist hinzu. »Und ich hab mir noch nicht abgewöhnen können, wie ein Schläger auszusehen. In der Regel ist das auch ziemlich effektiv. Die Kriminellen behandeln einen wie einen Kumpel, wissen Sie. Sonst hat es nichts zu bedeuten.«
Es klopfte, und eine junge Frau in einem abgenutzten roten Samtkleid und Schnürschuhen brachte zwei Tassen Kaffee, ohne auf ein »Herein« zu warten.
»Engel!« Billy T. grinste. »Vielen Dank.«
Der Kaffee war glühendheiß und stark wie Schießpulver, es war unmöglich, ihn zu trinken, ohne zu schlürfen. Der gewachste Pappbecher wurde zu heiß, weichte auf und ließ sich nur mit Mühe halten.
»Ist bei Ihrem Gespräch etwas Besonderes vorgefallen?« fragte Billy T.
Der Richter schien zu zögern, er bekleckerte seine Hose mit Kaffee und wischte sich dann mit harten, wütenden Bewegungen den Oberschenkel ab.
»Nein«, sagte er dann, ohne sein Gegenüber anzusehen. »Das würde ich nicht behaupten.«
»Ihre Sekretärin meint, Frau Volter habe in den letzten Tagen verstört gewirkt. Ist Ihnen das auch aufgefallen?«
»Ich kenne Birgitte Volter ja eigentlich gar nicht mehr. Mir ist sie sehr korrekt vorgekommen. Nein, ich kann nicht behaupten, daß mir irgend etwas aufgefallen wäre.«
Benjamin Grinde lebte von der und für die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Er sagte sonst immer die Wahrheit. Das Lügen war er überhaupt nicht gewohnt. Sein Unbehagen machte ihm zu schaffen, und ihm wurde schlecht. Vorsichtig stellte er die Tasse auf die Schreibtischkante. Dann schaute er dem Polizisten in die Augen.
»Nichts an ihrem Verhalten hat bei mir einen Verdacht erregt, es könnte etwas nicht stimmen«, sagte er mit fester Stimme.
Das Schlimmste an allem war, daß der Polizist ihn zu durchschauen schien, bis hin zu der Lüge, die sich in seinem Brustkorb ausgerollt hatte wie eine Giftschlange.
»Mir ist nichts Unnormales aufgefallen«, fügte er hinzu und schaute wieder aus dem Fenster.
Jetzt war das Blaulicht wieder da, immer wieder traf es auf die dunkle, matte Fensterscheibe.
2.23 norwegische Zeit, Berkeley, Kalifornien
Lieber Billy T.!
Es ist nicht zu fassen. Ich stand gerade am Herd, als Dein Fax kam. Es ist einfach nicht zu fassen! Ich habe sofort Cecilie angerufen, und so schnell ist sie noch nie aus der Uni zurückgekommen. Auch hier wird ausgiebig über den Mord berichtet, und wir hängen vor der Mattscheibe. Aber eigentlich erfahren wir nichts, immer wieder wird dasselbe erzählt. Ich habe schlimmeres Heimweh denn je!
Seht zu, daß Ihr Euch nicht durch Theorien alles verbaut. Wir müssen von den Schweden lernen, die sich ja anscheinend auf einer »offenkundigen« Spur nach der anderen restlos verirren. Wie sehen Eure ersten Theorien aus? Terrorismus? Rechtsextremisten? Und vergeßt auf keinen Fall die nächstliegenden Lösungen: Verrückte, Verwandtschaft, verschmähte Liebhaber (damit kennst Du Dich doch aus …). Wie organisiert Ihr die Arbeit? Ich habe tausend Fragen, die Du im Moment sicher nicht beantworten kannst. Aber BITTE: Melde Dich, ich schreibe Dir auch bald mehr.
Das hier ist nur meine erste Reaktion, ich hoffe, Du kannst das Fax noch lesen, ehe Du schlafen gehst. Obwohl Du in der nächsten Zeit wohl kaum viel zum Schlafen kommen wirst. Ich schick Dir das Fax nach Hause, die Jungs ärgern sich sonst vielleicht, daß eine Hauptkommissarin im Exil sich in Dinge einmischt, die sie strenggenommen nichts angehen.
Cecilie läßt Dich ganz herzlich grüßen. Typischerweise macht sie sich vor allem Sorgen um Dich. Ich denke eher an die Heimat, an meine Heimat Norwegen. Das ist doch der pure Wahnwitz. Melde Dich!
Deine Hanne
2.49, Redaktion der Abendzeitung
»Kommt nicht in Frage, Liten. Das geht einfach nicht.«
Der Redakteur beugte sich über den Tisch und sah sich einen Entwurf für die Titelseite an. Seit der ersten Sondernummer, die schon um Mitternacht auf der Straße verkauft worden war, hatte sie sich radikal geändert. Vor ihm lag eine Titelseite, die von einem großen Bild von Benjamin Grinde dominiert wurde, begleitet von der dramatischen Schlagzeile: »Richter vom Obersten Gericht festgenommen«, darunter, kleiner: »Der Mann, der Volter als letzter lebend sah.«
»Wir haben nicht genug Beweise«, sagte der Mann, kniff sich in die Nase und rückte seine Brille zurecht. »Er wird Schadenersatz verlangen. In
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