Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
länger.«
»Was denkst du so?«
Billy T. gab die Pritsche auf, legte sich auf den Boden, verschränkte die Hände unter seinem Kopf und ließ die Füße auf der Pritsche ruhen.
»Ich versuche, ihr Profil zu konstruieren«, sagte er, an die Decke gewandt. »Das ist nicht gerade leicht. Ich habe inzwischen mit vier Ministern, vier Freunden, dem Büropersonal, ihren politischen Mitarbeitern und dem Teufel und seiner ganzen Sippschaft gesprochen. Das ist schon komisch, weißt du …«
Karen Borg stand mit einem Tablett mit Kaffee und Plätzchen in der Tür. Billy T. schaute sich zu ihr um und breitete die Arme aus.
»Du, Karen, wenn du deinen Kerl überkriegen solltest, dann ziehe ich hier ein. Ganz bestimmt.«
»Ich werde ihn aber nie im Leben überkriegen«, sagte sie und stellte das Tablett auf den Computertisch. »Jedenfalls nicht, wenn du solche Drohungen ausstößt.«
»Was diese Frau an dir findet, verstehe ich nicht«, murmelte Billy T. mit vollem Mund. »Mich könnte sie sofort haben.«
»Was wolltest du noch sagen?« fragte Håkon und gähnte. »Irgendwas findest du komisch.«
»Ja. Es ist komisch, wie schwer es ist, sich eine Meinung über einen Menschen zu bilden, den man niemals kennengelernt hat. Alle sagen … alle sagen etwas anderes. Die einen bezeichnen sie als intelligent, fleißig, pragmatisch. Hatte angeblich keine Feinde. Andere erwähnen, daß sie manchmal eigen und starrköpfig war und daß sie durchaus Leichen im Keller hatte, was das Austricksen von Konkurrenten anging. Wieder andere meinen, daß sie vor ungefähr zehn Jahren, als sie den Kurs für ihre Karriere einschlug, kein Mittel scheute, um sich ins rechte Licht zu setzen. Angeblich wäre sie auch mit dem Richtigen ins Bett gestiegen, wenn das nötig gewesen wäre. Andere weisen auf die bemerkenswerte Tatsache hin, daß sie ihrem Mann immer treu gewesen ist.«
»Wer sind diese anderen?«
»Gerade die, die sie vermutlich am besten gekannt haben, behaupten, das sei niemals vorgekommen. Es kommt mir so vor, als ob …«
Er richtete sich auf und schlürfte seinen Kaffee.
»… als ob die Leute desto besser über sie sprächen, je näher sie ihr gestanden haben.«
»Das ist doch ganz natürlich«, sagte Håkon. »Diejenigen, die uns am nächsten stehen, mögen uns auch am liebsten.«
»Aber kennen sie uns auch am besten?«
Sie schwiegen. Aus dem Stockwerk über ihnen hörten sie den Kleinen heulen wie ein angestochenes Schwein.
»Kleine Kinder sind anstrengend, was, Håkon?«
Der Polizeiinspektor verdrehte die Augen.
»Ich hatte ja keine Ahnung, daß es soviel Arbeit macht. Soviel … soviel Mühe.«
»Was du nicht sagst.« Billy T. grinste. »Du hättest es so machen sollen wie ich. Vier Kinder zeugen mit vier verschiedenen Müttern, die sich im Alltag um sie kümmern und sie mir dann ab und zu überlassen – für ein nettes Wochenende oder so. Darüber geht wirklich nichts.«
Håkon sah ihn an, und in seinem Blick lag etwas, das Billy T. wie Nachsicht vorkam. Er legte sich wieder auf den Boden und betrachtete abermals ausgiebig die Decke.
»Ja, ja«, sagte Håkon leise. »Deshalb strahlst du jeden Freitag wie ein Honigkuchenpferd und bist am Montag dann stocksauer. Weil du so froh darüber bist, daß du die Gören wieder bei der Mutter abgeben mußtest.«
»Vergiß es«, sagte Billy T. verärgert. »Vergiß es.«
Håkon Sand stand auf und schenkte ihnen Kaffee nach.
»Und was sagst du dazu?«
»Ach …«
Billy T. zögerte mit der Antwort.
»Eigentlich würde ich eher denen glauben, die sie am besten gekannt haben. Das Problem ist nur, daß …«
Wieder richtete er sich auf und streckte die Hände Richtung Decke.
»Die Frau war so schrecklich anständig, Håkon. Es ist verdammt schwer, in ihrem Leben irgendwas zu finden, das darauf hinweisen könnte, daß jemand ihr den Tod gewünscht hätte. Und zwar so dringend, daß sie sie umgebracht haben.«
»Na ja, wir haben ja noch einiges an Arbeit vor uns. Gelinde gesagt.«
Wieder seufzte er.
»Aber hör mal, Håkon!«
Billy T. ragte über ihm auf und stützte sich so plötzlich mit beiden Händen auf die Tischplatte, daß Håkon zusammenfuhr.
»Eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder wurde sie umgebracht, weil sie Birgitte Volter war. Weil ihr jemand ans Leder wollte. Ihr als Person, meine ich. Und dafür spricht bisher nichts, wirklich nichts. Oder sie ist umgebracht worden, weil sie die Ministerpräsidentin war. Ihre Rolle sollte
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