Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
umgebracht werden, gewissermaßen. Es war ein Anschlag auf Norwegen. Auf die Politik der Regierung. Und ich muß ja zugeben …«
Es fiel ihm schwer, und er schluckte.
»… ich muß ja zugeben, daß das wahrscheinlicher wirkt. Im Moment jedenfalls. Was bedeutet, daß die Jungs aus dem achten Stock einen Galaauftritt haben werden. Und das paßt mir überhaupt nicht.«
Das Kind heulte jetzt nicht mehr, statt dessen hörten sie ein rhythmisches Pochen, offenbar wurde mit einem Spielzeug auf den Boden geschlagen.
»Erzähl mir, was du über sie weißt, Billy T.«
»Sie hat am Freitag Geburtstag, wird also ausgerechnet an ihrem einundfünfzigsten Geburtstag begraben. Sie hat mit nur achtzehn Jahren ihren gleichaltrigen Jugendfreund Roy Hansen geheiratet. Die Ehe hat die ganzen Jahre gehalten. Ein Kind, Per Volter, zweiundzwanzig. Besucht in Fredriksvern bei Stavern die Unteroffiziersschule. Ein fescher junger Mann, scheint seinen Eltern nur den einen Kummer bereitet zu haben, daß er Mitglied bei den Jungen Konservativen ist. Ziemlich guter Schüler, stellvertretender Vorsitzender des Pistolenklubs, der Knabe scheint das Organisationstalent seiner Mutter geerbt zu haben.«
»In einem Pistolenklub? Dann hat er also Zugang zu Waffen?«
»Das schon, zu einer Menge Waffen sogar. Aber an diesem Wochenende war er hoch oben in der Har-dangervidda auf einem langen Marsch, es war verdammt schwer, ihn zu erreichen, um ihm den Tod seiner Mutter mitzuteilen. Und nichts deutet darauf hin, daß er sich mit seiner Mama nicht verstanden hätte. Ganz im Gegenteil. Scheint ein lieber Junge zu sein. Abgesehen von dieser Macke mit den Jungen Konservativen.«
»Weiter«, murmelte Håkon.
»Birgitte Volter wurde in Schweden geboren, am 11. April 1946. Ihr Vater war Schwede, die Mutter während des Krieges aus Norwegen geflohen. 1950 sind sie nach Nesodden gezogen. Sie hat Abitur gemacht und die Handelsschule besucht, und sie hat in der Gewerkschaftsbewegung rasch Fuß gefaßt. Sie hat in der staatlichen Spirituosenhandlung in Hasle als Sekretärin oder so gearbeitet. Außerdem war sie im Gemeinderat von Nesodden und bekam immer wichtigere Posten bei der Angestelltengewerkschaft. Und so weiter und so fort. The rest is history, wie man sagt.«
»Hatte sie Freunde?«
»Das ist schon komisch«, sagte Billy T. und kratzte sich wieder im Ohr. »Ich glaube, ich kriege eine Ohrenentzündung. Das hat mir gerade noch gefehlt.«
Er starrte seinen Zeigefinger an, an dem jedoch nichts anderes zu sehen war als ein Tintenfleck vom Vortag.
»Du weißt, all das, was in der Zeitung zu lesen ist. Seilschaften, weißt du? Daß der eine den anderen kennt und mit wieder anderen dick befreundet ist. Ich glaube, die Zeitungen operieren mit einem anderen Begriff von Freundschaft als du und ich. Eigentlich sind sie nicht befreundet, sondern eher Parteigenossen oder so. Freunde scheinen solche Leute nur wenige zu haben, und die haben sie in einer ganz anderen Umgebung kennengelernt, an ihrem früheren Arbeitsplatz oder vor Jahren in der Schule. Die einzige in der Politszene, die offenbar wirklich mit Birgitte befreundet war, ist die Parlamentspräsidentin.«
»Und was ist mit Feinden?«
»Ja, da haben wir’s wieder. Kommt darauf an, was du unter Feinden verstehst. Was ist ein Feind? Wenn das einer ist, der schlecht über dich spricht, dann haben wir alle haufenweise Feinde. Aber trifft diese Bezeichnung wirklich zu? Sicher, Håkon, wenn du in einer machtgeilen Partei wie der sozialdemokratischen so weit oben gelandet bist, dann haben viele Grund, sich ab und zu auf den Fuß getreten zu fühlen. Aber Feinde? Die dich deshalb umbringen würden? Nein. Ich kann jedenfalls keine sehen. Zumindest noch nicht.«
Håkon Sand ging ans Fenster und öffnete es einen Spaltbreit.
»Eigentlich haben wir dasselbe Problem, wenn wir die Sache aus der anderen Richtung angehen«, sagte er, als er sich wieder setzte.
»Aus der anderen Richtung?«
»Ja, wenn wir uns ihre … Rolle als Ministerpräsidentin ansehen. Es wirkt irgendwie alles so … zahm hier in Norwegen. Man kann sich einfach nicht vorstellen, daß ein politischer Gegner Birgitte Volter ermordet, weil sie beispielsweise das Schengener Abkommen unbedingt verhindern will. Und die Verrückten-Theorie klappt auch nicht. Dann hätte der Mörder anderswo zugeschlagen. Herrgott, norwegische Regierungsmitglieder sind doch kaum gesichert, wenn sie nicht in ihren Büros sitzen. Ein Irrer hätte das draußen
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