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Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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versuchte er, sich zusammenzureißen. Er hob die Beine aus dem Bett und richtete sich mühsam auf. Der Bronzelöwe, der seine Schlafzimmertür bewachte, schien ihn anzufauchen. Seine Mähne war blankpoliert und leuchtete wie Gold, sein Maul war schwarz und mit Patina besetzt. Grinde hatte den Löwen in Teheran gekauft. Er war fasziniert von diesem fremdartigen Wesen, das zugleich etwas Urnorwegisches war, das offizielle Symbol Norwegens. Es fauchte im Landeswappen über dem Eingang zum Regierungsgebäude. Zwei Löwen lagen vor dem Parlament – zahme, zahnlose Löwen, die versuchten, ungeheuer wichtig zu wirken, ohne wirklich jemandem Angst einjagen zu können. Die allerschönste jedoch war die Löwin mit den üppigen Brüsten, die das Besprechungs- und Repräsentationszimmer des Obersten Gerichts bewachte.
    Benjamin Grinde starrte die Bronzefigur an. Sie nagelte ihn ans Bett, und aus ihrem Maul schien ein abstoßender Gestank zu quellen. Mühsam kam er auf die Beine und ging in die Küche.
    »Ich habe nie hineingeschaut«, fiel ihm plötzlich ein, während er nach Kaffee suchte. »Was mag wohl drinnen sein?«
    Das große Eichenbüfett mit den Glastüren und den Traubenreliefs wirkte im Dämmerlicht fast schwarz. Die Vorhänge waren vorgezogen, das Leben fand draußen statt, hier drinnen gab es nichts.
    Hinter den alten Decken der Urgroßmutter lag die kleine Dose, die er besser an ihrem ursprünglichen Platz gelassen hätte.
    Eine hübsche kleine Pillendose aus emailliertem Gold.
    Er zog sie heraus und versuchte sie zu öffnen.
    11.00, Hauptwache Oslo
    »Und dieser Mann war gestern hier? Auf der Wache?«
    Von dem sonst so korrekten, neutralen Überwa-chungschef war nicht mehr viel übrig. Er lief hektisch in seinem Büro auf und ab und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.
    »Wann ist er entlassen worden?«
    »Gestern nachmittag. Er hatte nichts mit der Demonstration zu tun. Er war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.«
    »Brage Håkonsen«, murmelte Ole Henrik Hermansen verbissen. »Liegt schon etwas gegen ihn vor?«
    »Wenig.«
    Der Beamte versuchte, seinen Chef im Auge zu behalten, aber das war nicht leicht, denn Hermansen wirbelte förmlich durch das Zimmer.
    »Und was ist dieses Wenige?«
    »Er gehört einwandfrei in die rechtsextreme Szene. Früher war er Mitglied der ›Arischen Macht‹, aber das ist schon eine Weile her. In den letzten zwei Jahren war er fast unsichtbar. Wir haben den Verdacht, daß er eine eigene Gruppe leitet, aber wir wissen nichts Näheres.«
    Der Überwachungschef blieb abrupt stehen, unmittelbar hinter dem Rücken seines Mitarbeiters.
    »Und Tage Sjögren hat ihn also besucht. Letzte Woche.«
    Der Beamte begnügte sich mit einem Kopfnicken, obwohl er wußte, daß der andere das nicht sehen konnte.
    »Bring alles über den Kerl heraus«, fauchte Ole Henrik Hermansen, lief zu seinem Schreibtischsessel und setzte sich. »Im Notfall kannst du ihn einfach verhaften.«
    15.32, Tindfoten, Tromsdalen bei Tromsø
    Der Schnee war nicht mehr weiß. Er umwirbelte ihn in einem Grauton, den er noch nie gesehen hatte. Das viele Grau verschwamm zu einem übergangslosen Nichts; er konnte kaum noch seine Skispitzen erkennen. Sie hätten die Schutzhütte nicht verlassen dürfen. Er hatte Morten davor gewarnt; so, wie das Wetter sich entwickelt hatte, seit sie Snarbydalen verlassen hatten, hätten sie in der Hütte bleiben sollen.
    »Aber es geht doch fast die ganze Zeit bergab«, hatte Morten protestiert. »Zwanzig Minuten leichter Hang, dann eine gute halbe Stunde toller Abfahrtslauf. Zu Hause wartet schon das Bier auf uns. Was willst du denn hier?«
    Morten hatte auf die Regale in der kleinen Hütte gezeigt. Einige Tüten Blumenkohlsuppe und vier Konservendosen mit Eintopf wirkten sehr viel weniger verlockend als ein blutiges Steak und ein kaltes Bier in Mortens Wohnung in Skattøra.
    »Aber die Lawinengefahr«, hatte der Wachmann eingewandt. »Es könnte doch Lawinen geben.«
    »Himmel! Ich bin hier schon hundertmal unterwegs gewesen. Hier gibt’s keine Lawinen. Jetzt komm schon!«
    Er hatte nachgegeben. Jetzt wußte er nicht, wo Morten war. Er blieb stehen und stützte sich auf seine Skistöcke.
    »Morten! Morten!«
    Das graue Schneegestöber schien seinen Ruf zu verschlucken: Er machte vor seinem Mund kehrt und flog wieder hinein.
    »Morten!«
    Er wußte nicht einmal, wo er war.
    Noch immer ging es leicht bergauf, obwohl er seit fast einer Stunde unterwegs war. Morten hatte gesagt, daß

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