Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
vorwurfsvollem Lächeln. »Wann legst du dir endlich eine schönere zu?«
Er starrte beleidigt seine Tasche an, einen kleinen Diplomatenkoffer aus rotem und schwarzem Nylon, geschmückt mit dem Logo der sozialdemokratischen Partei.
»Ja, aber mir gefällt die nun mal.«
Hanne Wilhelmsen legte den Kopf in den Nacken und lachte laut.
»Die gefällt dir? Die ist doch einfach scheußlich. Hast du die von einem Parteitag mitgebracht oder was?«
Øyvind Olve nickte verwirrt und stellte die Tasche auf den Boden, wo die Hauptkommissarin sie nicht sehen konnte.
»Warum hast du mich denn in dieses Loch bestellt?« flüsterte er und verdrehte die Augen.
»Weil das der einzige Ort in Oslo ist, wo du ganz sicher sein kannst, daß du nicht belauscht wirst«, flüsterte sie zurück und schaute sich verschwörerisch um. »Hier hat sich noch nicht mal der Überwachungsdienst etabliert.«
»Kann man hier denn wirklich essen?« murmelte er und starrte die fettige Speisekarte an.
»Wir gehen danach woandershin«, erklärte sie. »Und das Bier ist so gut wie überall. Also, erzähl.«
Sie nippte an ihrem Glas, stützte die Ellbogen auf den Tisch und leckte sich die Lippen.
»Worum um Himmels willen geht es eigentlich bei diesem Gesundheitsskandal? Was läuft hier wirklich ab?«
»In solchen Fällen läuft fast immer ein Machtkampf ab. Und irgendwer füttert heimlich die Presse.«
»Meinst du, den Leuten von der Presse werden Informationen zugespielt?«
»Das, was heute in der Zeitung stand«, sagte Øyvind und malte einen Kreis auf sein beschlagenes Bierglas, »das war nicht einmal im Büro der Ministerpräsidentin bekannt. Irgendwer scheint es auf uns abgesehen zu haben.«
»Auf euch abgesehen? Aber stand da denn nicht die Wahrheit?«
»Doch, wahrscheinlich schon. Und wenn es stimmt, dann wäre es auch veröffentlicht worden. Es geht darum, daß die Sache von der zuständigen Kommission untersucht werden muß, und wenn schon jetzt so viel herauskommt, dann ist es schwer für uns, uns vernünftig zu verhalten.«
»Für uns? Meinst du die Partei?«
Øyvind Olve lächelte, fast verlegen.
»Ja, im Grunde schon. Aber vor allem meine ich die Regierung.«
»Wie kann das denn der Regierung schaden? Das Ganze ist doch vor über dreißig Jahren passiert.«
»Alles wird der Regierung angehängt. Die Regierung hat die Verantwortung für die Untersuchungen übernommen, und wir konnten nur mit Mühe verhindern, daß das Parlament sich auch diese Geschichte unter den Nagel gerissen hat. Zum Glück hat Ruth-Dorthe rasch gehandelt und eine Kommission einberufen, noch ehe sich die Leute im Parlament besonnen hatten.«
Er trank einen großen Schluck Bier und stöhnte.
»Sieh dir doch den Überwachungsskandal damals an«, sagte er dann mit noch leiserer Stimme. »Als der Bericht der Kommission endlich vorlag …«
Wieder hob er sein Glas an den Mund und leerte es zur Hälfte.
»Hast du nicht gesehen, wie sie versucht haben, das zu ihrem Sieg zu erklären?«
»Wer denn?«
»Die Opposition. Die Mittelparteien. Und auch andere. Als ob das Parlament die ganze Arbeit geleistet hätte und nicht eine Kommission aus lauter fähigen Leuten. Als ob wir nicht ebenso dringend hätten wissen wollen, wer in Norwegen alles ohne Erlaubnis überwacht worden ist.«
»Aber«, protestierte Hanne, »die Regierung hatte die Sache doch auch schon untersucht und so gut wie gar nichts herausgebracht.«
»Ja«, sagte Øyvind Olve und knallte sein Glas auf den Tisch. »Aber das war doch nicht der Fehler der Regierung. Es war doch nicht Gro persönlich, die die Akten und Unterlagen überprüft hat.«
Gereizt bestellte er noch zwei Bier.
»Du warst mitten in deinem Bericht«, sagte Hanne, als das Bier gekommen war, und goß den letzten Rest aus ihrem alten Glas in das neue.
»Regieren ist ein unbehaglicher Balancegang«, sagte Øyvind. »In jeder Hinsicht. Vor allem, wenn die Belastungen so groß sind wie bei unserer Partei. Alles wird uns angekreidet. Alles Negative. Das Land fließt über von Milch und Honig, aber trotzdem sind alle sauer auf die Sozialdemokraten. Dieser Gesundheitsskandal …«
Er schaute auf die Uhr und legte sich die flache Hand auf den Bauch.
»Hunger?« fragte Hanne Wilhelmsen.
»Mmm.«
»Nachher. Erzähl erst weiter.«
»Na ja«, sagte Øyvind Olve. »Wenn 1965 wirklich etwas schiefgelaufen ist, wollen wir das natürlich aufklären. Aus vielen Gründen. Es muß festgestellt werden, wer die Verantwortung trägt, und vor
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