Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
allem müssen wir aus solchen Fehlern lernen, auch aus solchen, die vor so langer Zeit passiert sind. Wenn aber solche Mengen an Informationen an die Presse durchsickern, wird die Regierung in die Defensive gezwungen … das Büro der Ministerpräsidentin hat nichts von dem gewußt, was heute in der Zeitung gestanden hat.«
»Ich kapiere das immer noch nicht«, sagte Hanne. »Wer war 1965 eigentlich an der Macht?«
»Erst wir, dann die Konservativen«, murmelte Øyvind. »Aber darum geht es nicht. Es geht darum, daß die Regierung eine schlechte Figur macht, denn sie weiß viel weniger als die Presse, und das ist in den Augen der Leute immer ein Zeichen von Schwäche. Oder zumindest in den Augen der Presse. Und das will etwas heißen.«
Er mußte aufstoßen.
»Du mußt etwas mit deinem Magen machen«, sagte Hanne.
»Und wenn sie heute den Gesundheitsskandal mit dem Mord an Birgitte in Verbindung bringen, dann haben wir wirklich Ärger.«
Jetzt beugte er sich so weit vor, daß sein Gesicht nur noch zwanzig Zentimeter von Hannes entfernt war.
»Aber das ist doch bestimmt nur Unsinn«, protestierte Hanne.
»Unsinn? Ja, sicher, aber das spielt doch keine Rolle. Solange die Zeitungen beides zu einem einzigen Fall zusammenrühren, wird es von der Öffentlichkeit auch für einen Fall gehalten. Vor allem, wenn es so aussieht, als ob …«
Plötzlich ließ er sich auf seinem Stuhl zurücksinken und starrte zum Tresen hinüber. Er schien nicht weiterreden zu wollen.
»Wenn es so aussieht, als ob was?«
Hanne flüsterte jetzt.
»Als ob die Polizei keine Ahnung hätte, was diesen Mord betrifft«, sagte Øyvind langsam. »Oder wißt ihr etwa irgendwas?«
Hanne zeichnete in die feuchte Stelle, die ihr Bierglas auf dem Tisch hinterlassen hatte, ein Herz.
»Du solltest mich nicht mit der Polizei gleichsetzen«, sagte sie. »Da arbeite ich zur Zeit nicht.«
Øyvind Olve bückte sich und hob seinen albernen Nylonkoffer auf den Tisch. Er machte sich am Reißverschluß zu schaffen, dann legte er Hanne drei Bogen hin.
»Genau. Da arbeitest du nicht. Also erzähl mir, was ich hiermit anfangen soll.«
Er schob ihr die Unterlagen hin.
»Was ist das?« fragte sie und drehte sie zu sich hin.
»Das habe ich in Birgitte Volters Büro gefunden. Ich mußte alle Unterlagen durchsehen, viele waren ja von ziemlicher politischer Brisanz. Und das hier steckte zwischen zwei roten Mappen.«
»Roten Mappen?«
»Gesperrten Unterlagen.«
Die Bogen enthielten eine Reihe von Namen, die jeweils mit einem Datum versehen waren.
»Geburts- und Todesdaten«, erklärte Øyvind Olve. »Offenbar eine Liste der plötzlichen Todesfälle des Jahres 1965. Und sieh hier …«
Er zog die Papiere zurück, suchte kurz, schob sie dann wieder Hanne hin und zeigte auf eine Stelle.
»Liv Volter Hansen. Geboren am 16. März 1965, gestorben am 24. Juni 1965. Über allerlei Umwege und mit vielen Notlügen habe ich erfahren, daß die Grinde-Kommission diese Liste angelegt hat. Die Eltern dieser Kinder wurden von einem Computer ausgesucht, sie sollten ausführlich über Gesundheit, Verhalten, Essensgewohnheiten und so weiter ihrer Kinder befragt werden. Eine repräsentative Auswahl, mit anderen Worten. Und zufällig landete die Ministerpräsidentin in dieser Gruppe. Noch interessanter ist, daß die Liste am 3. April fertig war. Am Tag vor Birgittes Tod. Sie kann diese Liste nur von Benjamin Grinde bekommen haben. Ich habe alle anderen Möglichkeiten überprüft. Posteingang, Protokolle von Besprechungen, absolut alles. Sie muß die Liste von Grinde bekommen haben. Und schau her …«
Wieder zeigte er auf eine Stelle auf dem Bogen. Am Rand der ersten Seite war handschriftlich ein Vermerk angebracht.
»Neue Person?« und »Was sagen?«
»Was in aller Welt soll das denn bedeuten?« fragte Hanne, mehr zu sich selbst als zu Øyvind.
»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Aber es ist Birgittes Handschrift. Was soll ich tun?«
»Das, was du sofort hättest tun sollen«, sagte Hanne mit lauter, vorwurfsvoller Stimme. »Du wirst diese Unterlagen der Polizei bringen. Jetzt, sofort.«
»Aber wir wollten doch essen gehen«, klagte Øyvind Olve.
20.00, Hauptwache Oslo
Per Volters Haare wurden schon dünn. Billy T. konnte das deutlich sehen, oben auf dem Kopf waren sie schütter. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der junge Mann mit einer Halbglatze rechnen könnte.
Billy T. wußte nicht so recht, was er tun sollte. Per Volter saß seit fast zehn Minuten
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