Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
an seinem Schreibtisch, hatte den Kopf auf die Arme gelegt und weinte wie ein Kind. Und all das hatte eine kleine Behauptung von Billy T. verursacht: »Ich glaube, Sie haben mir einiges zu erzählen.«
»Glauben Sie etwa, ich hätte meine Mutter umgebracht?« hatte Per Volter gerufen, um dann in Tränen auszubrechen.
Nichts hatte geholfen. Billy T. hatte beteuert, daß das nicht der Fall sei. Zum einen hatte Per Volter ja ein hiebund stichfestes Alibi, zwanzig Soldaten und drei Offiziere konnten beschwören, daß der Junge sich auf der Hardangervidda aufgehalten hatte, als im Büro der Ministerpräsidentin der Schuß gefallen war. Zum zweiten hatte er nicht die Spur von einem Motiv. Und drittens hätte er wohl kaum die Tatwaffe als seine eigene identifiziert, wenn er wirklich der Mörder gewesen wäre.
Das hatte Billy T. immer wieder gesagt, aber nichts hatte geholfen. Am Ende gab er auf und beschloß, Per Volter in Ruhe weinen zu lassen.
Billy T. musterte seine Fingernägel und spielte mit dem Gedanken, aufs Klo zu gehen. Als er seinen Entschluß gefaßt hatte und schon aufstehen wollte, schniefte Per Volter energisch und richtete sich zögernd auf. Sein Gesicht war rot und verquollen.
»Geht’s ein bißchen besser?« fragte Billy T. und glitt lautlos wieder auf seinen Sitz.
Per Volter gab keine Antwort, sondern wischte sich als Geste der Zustimmung das Gesicht am Pulloverärmel ab.
»Hier«, sagte Billy T. und bot ihm ein Papiertaschentuch an. »Sie haben wirklich eine bemerkenswerte Ordnung in Ihren Waffen, Per.«
»Habt ihr da nachgesehen?« murmelte Per und starrte das feuchte Taschentuch an.
»Ja. Zwei Beamte waren bei Ihrem Vater und haben einen Bericht geschrieben, in dem von vorbildlicher Aufbewahrung die Rede ist. Die Waffen in einem verschlossenen Schrank, die Munition in einem anderen. Und alle fünf Waffen sind bei uns registriert.«
»Dieses Register ist eigentlich ein Witz«, murmelte Per Volter. »Soviel ich weiß, gilt es nur für diesen Bezirk, und ihr habt es noch nicht einmal im Computer.«
»Wir warten auf ein neues Waffengesetz«, sagte Billy T., goß aus einer Thermoskanne Kaffee in zwei Tassen und schob Per eine schwarze mit dem Bildnis Franz Kafkas zu.
»Aber warum …«, sagte er und zögerte dann.
»Warum was?«
»Warum haben Sie den Nagant nicht registrieren lassen?«
Per blies in seine Tasse. Da der Kaffee weiterhin zu heiß blieb, stellte er sie vorsichtig auf den Tisch.
»Das hat sich einfach nicht so ergeben. Die anderen Waffen habe ich gekauft. Der Nagant war ein Geschenk. Zu meinem achtzehnten Geburtstag. Der Revolver hat meiner Großmutter gehört. Die war im Krieg ziemlich aktiv, und wir haben den Nagant immer als ihren Orden bezeichnet.«
Jetzt lächelte der junge Mann kurz und sah ein bißchen stolz dabei aus.
»Sie hat einen verletzten Russen operiert und ihm damit das Leben gerettet. Und dabei war sie nicht einmal Ärztin. Das war im Herbst dreiundvierzig, und der Mann konnte ihr zum Dank nichts anderes geben als seine Waffe. Er hieß Kliment Davidowitsch Raskin.«
Jetzt strahlte er.
»Als Kind fand ich diesen Namen toll. Viele Jahre nach Kriegsende hat meine Großmutter versucht, ihn zu finden. Über das Rote Kreuz, die Heilsarmee und so. Sie hat ihn nicht finden können. Ich war sechzehn, als sie gestorben ist. Phantastische Frau. Sie …«
Wieder traten ihm die Tränen in die Augen, und er versuchte noch einmal sein Glück mit dem Kaffee.
»Meine Mutter hat mir dann später den Nagant geschenkt«, murmelte er in seine Tasse. »Es war das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe.«
»Hast du auch schon mal damit geschossen?«
»Ja. Er braucht eine ganz besondere Munition, die mußte ich erst bestellen. Ich habe mit dieser Waffe vielleicht … vielleicht sechs- oder siebenmal geschossen. Eigentlich eher aus Pflichtbewußtsein. Sie ist ziemlich unpräzise. Und sie ist eben alt. Meine Großmutter hatte sie nie benutzt.«
Wieder überwältigte ihn die Erinnerung an eine Tote. Aus seinem linken Auge floß eine Träne, aber er bleib aufrecht sitzen.
»Warum sind Sie so wütend auf Ihren Vater, Per?«
Kaum hatte Billy T. diese Frage gestellt, als seine inneren Alarmsirenen auch schon schrillten. Der Junge mußte erst erfahren, daß er gegen seine eigene Familie nicht auszusagen brauchte. Trotzdem zog Billy T. seine Frage nicht zurück.
Per Volter starrte aus dem Fenster. Er hielt sich die Tasse vors Gesicht, trank aber nicht. Der Dampf
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