Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
mußte. Das war aus mehreren Gründen bedauerlich. Zum einen würde die Wirkung nachlassen, wenn der nächste Anschlag erst längere Zeit nach dem Tod der Ministerpräsidentin stattfände. Zum anderen war es immer verdammt ärgerlich, einen so detaillierten Plan ändern zu müssen. Allerdings hatte er ja schon beschlossen, sich einen anderen Mitarbeiter zu suchen. Auf Reidar war zwar Verlaß, aber Brage hatte nicht lange gebraucht, um festzustellen, daß der Junge nicht sonderlich hell im Kopf war. Als Tage zum Abschied beteuert hatte, jederzeit zur Verfügung zu stehen, und die Wichtigkeit der Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinweg betont hatte, war ihm sofort der Gedanke gekommen: Sie würden das zusammen machen, Tage und er. Und dann konnte es von Vorteil sein, die Sache aufzuschieben. Tage hatte vielleicht Änderungsvorschläge für seinen Plan.
Der bloße Gedanke machte ihn glücklich, und er lächelte, als er aus dem Fenster schaute und in einem alten Volvo auf der anderen Straßenseite zwei Männer sitzen sah.
Er wußte, wie er trotz allem ungesehen die Hütte erreichen würde. Er brauchte nur zwei Tage zu warten.
Freitag, 18. April 1997
12.07, Pressekonferenzraum im Regierungsviertel
»Das hat ja gerade noch geklappt.«
Edvard Larsen mußte sich zusammennehmen, um nicht erleichtert aufzuseufzen, als er an den Fotografen vorüberging, die vor dem Saal auf die Ministerin warteten.
Er hatte seine im Laufe vieler Jahre erarbeitete Klugheit und List anwenden müssen, um ihr klarzumachen, daß er recht hatte. Ruth-Dorthe Nordgarden hatte sich lange gewehrt. Larsen sollte, so meinte sie, ihre Verlautbarung vorlesen, dann wollte sie dazustoßen und zehn Minuten lang Fragen beantworten.
»Aber Frau Nordgarden«, hatte er ihr zu erklären versucht. »Es würde einen seltsamen Eindruck machen, wenn ich als Angestellter im Ministerium eine Verlautbarung von Ihnen, der Politikerin, vorlesen würde. Es würde einen sehr seltsamen Eindruck machen.«
»Aber ich will einfach nichts laut vorlesen, wenn ich dabei von einem Haufen Leute angestarrt werde«, hatte sie gejammert. »Ist das denn so schlimm, wenn es einen etwas ungewöhnlichen Eindruck macht? Das Wichtigste ist doch, daß sie erfahren, was wir bisher unternommen haben.«
Er hatte eine halbe Stunde gebraucht, um sie zu überreden, und während dieser halben Stunde hätte er sich eigentlich vorbereiten müssen. Immerhin hatte sie dann endlich Vernunft angenommen.
Larsen bahnte sich einen Weg durch die Journalisten und stieg dann aufs Podium. Sein Schlips hing schief, ein Hemdzipfel war aus seinem Hosenbund gerutscht. Diskret versuchte er, ihn wieder hineinzustopfen, nachdem eine gute Freundin, eine Fernsehreporterin, ihn durch ihre Grimassen dazu gebracht hatte, an sich hinunterzublicken.
Vor ihm auf dem Tisch lagen die aktuellen Tageszeitungen. Er hatte sie schon gelesen. Sehr gründlich. Alle berichteten ausgiebig über den Gesundheitsskandal, und die AZ widmete ihre gesamte Titelseite dem Farbbild eines Ehepaars von Anfang Sechzig, das neben einem kleinen weißen Marmorgrabstein kniete, der von einem Engel geziert wurde. In goldenen Buchstaben war der Name Marie in den Stein eingraviert, darunter stand: »Geboren am 23.Mai 1965, gestorben am 28.August 1965.« Über dem Bild schrie ihm förmlich die Schlagzeile entgegen:
»W ER TRÄGT DIE V ERANTWORTUNG FÜR DEN T OD DER KLEINEN M ARIE ?«
Edvard Larsen setzte sich und schaute zur Tür. Endlich hielt Ruth-Dorthe Nordgarden in gewaltigem Blitzlichtgewitter ihren Einzug. Sie hielt sich den Arm vors Gesicht, als werde sie unter dem Verdacht eines ernsthaften Verbrechens dem Untersuchungsrichter vorgeführt und wolle nicht erkannt werden.
Herrgott, dachte Larsen. Das werden ja phantastische Bilder.
Er fuhr sich kurz mit der Hand über die Augen und führte danach Ruth-Dorthe Nordgarden zu ihrem Platz. Sie betrachtete die Versammlung mit zusammengekniffenen Augen und fuchtelte wieder mit der Hand, um die Blitze zum Erlöschen zu bringen. Dann hüstelte sie und versenkte sich in ihre Unterlagen.
»Willkommen zu dieser Pressekonferenz«, sagte Larsen, der jetzt aufgestanden war. »Ministerin Nordgarden wird zuerst kurz unser derzeitiges Wissen über die Todesfälle von dreimonatigen Säuglingen im Jahre 1965 zusammenfassen. Das wird etwa zehn Minuten in Anspruch nehmen. Danach können Sie Fragen stellen.«
Er nickte Ruth-Dorthe Nordgarden aufmunternd zu, doch die war noch immer in ihre Unterlagen
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