Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
vertieft. Er trat neben sie und legte ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter.
»Bitte sehr, Frau Ministerin.«
Ihre Stimme klang dünn und hörbar nervös. Ihre großen, babyblauen Augen irrten durch die Versammlung, bis sie schließlich auf dem vor ihr liegenden Manuskript zur Ruhe kamen. Und nun fiel ihr das Reden etwas leichter.
»Vor dem Hintergrund der Pressemeldungen der letzten Tage erscheint es mir notwendig, mich zu den Umständen zu äußern, unter denen der norwegische Staat in den Jahren 1964 und 1965 Dreifachimpfstoff gekauft hat. Ich betone, daß meine Verlautbarungen die Arbeit der Untersuchungskommission nicht berühren werden, die ja bekanntlich noch längst nicht beendet ist, hier handelt es sich um eine Verlautbarung rein faktischen Charakters.«
An dieser Stelle schaute sie plötzlich von ihren Papieren auf, eine einstudierte Geste, die ihr nicht sonderlich gut gelang, denn sie fand danach nicht wieder in ihren Text zurück.
»Die Regierung möchte alles ans Licht bringen«, sagte sie, als sie endlich den Faden wiedergefunden hatte. »Innerhalb kurzer Zeit hat das Ministerium beträchtliche Arbeit geleistet, um weitere Spekulationen zu verhindern. Ich hoffe, daß wir diese Angelegenheit bald für beendet erklären und uns aktuelleren Problemen zuwenden können.«
Larsen schloß resigniert die Augen. Er hatte diesen Satz gestrichen und Ruth-Dorthe Nordgarden höflich zu erklären versucht, daß sie diesen Fall um nichts in der Welt bagatellisieren dürfe. Aber offenbar hatte sie seinen Rat in den Wind geschlagen.
»Für die Impflinge des Jahres 1965 wurde eine begrenzte Menge Dreifachimpfstoff gekauft, und zwar beim renommierten niederländischen Pharmaunternehmen Achenfarma. Zuständig für den Einkauf war das Staatliche Institut für Volksgesundheit. Ende 1965 kamen die ersten Berichte über eine ungewöhnlich hohe Sterblichkeit von dreimonatigen Säuglingen in diesem Jahr. Der Dreifachimpfstoff wurde vom Markt genommen, obwohl ich betonen möchte …«, jetzt schlug ihre Stimme in eine schrille Tonlage um, und sie mußte sich zweimal räuspern, ehe sie weitersprechen konnte.
»Ich betone, daß zwischen den Todesfällen und dem Dreifachimpfstoff zuerst keinerlei Zusammenhang nachzuweisen war. Es war einfach eine Sicherheitsmaßnahme. Genauere Untersuchungen haben dann erwiesen, daß das Konservierungsmittel im Impfstoff verunreinigt war. Für die Impflinge des nächsten Jahres wurde deshalb der Impfstoff bei einer Firma in den USA bestellt, die einen äußerst guten Ruf genießt.«
Ruth-Dorthe Nordgarden redete jetzt immer schneller, so schnell, daß einige Journalisten ihr nicht mehr folgen konnten, weshalb sich im Saal ein unzufriedenes Gemurmel ausbreitete. Larsen schrieb ein Wort auf einen gelben Klebezettel und schob ihn der Ministerin so diskret wie möglich hin.
Das verwirrte sie abermals, doch sie hatte immerhin begriffen. Als sie sich wieder gefaßt hatte, las sie langsamer weiter:
»Die schädlichen Folgen des Impfstoffs von Achenfarma waren der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt. Das Institut für Volksgesundheit weist darauf hin, daß die Bevölkerung Vertrauen zu den staatlichen Impfprogrammen haben muß. Wenn sich mehr als zehn Prozent der Bevölkerung nicht mehr impfen lassen, verlieren unsere Programme ihre vorbeugende Wirkung. Ich möchte daran erinnern, daß die in Norwegen routinemäßig durchgeführten Impfungen vor ernsthaften und teilweise lebensgefährlichen Krankheiten schützen sollen und daß keinerlei Grund …«, und das betonte sie, indem sie auf den Tisch schlug, »… keinerlei Grund besteht, den heutigen Impfstoffen für Kinder und Jugendliche zu mißtrauen.«
Als sie geendet hatte, war es zunächst ganz still im Raum. Dann brach der Sturm los. Larsen mußte aufspringen, versicherte über eine Minute lang mit lauter Stimme, daß alle zu Wort kommen würden, und konnte damit endlich wieder Ordnung ins Verfahren bringen. Die Fragen hagelten nur so, es ging dabei um alles von der Möglichkeit von Entschädigungszahlungen für die Betroffenen bis zu der Frage, ob Achenfarma weiterhin existiere. Dagbladet wollte wissen, ob das Gesundheitsministerium die ganze Zeit über von dem Zusammenhang zwischen Todesfällen und Impfstoff gewußt oder ob man von dem Skandal erst durch die Arbeit der Kommission erfahren habe. Bergens Tidende war vertreten durch einen Hitzkopf, der seine Fragen unnötig detailliert, unnötig provozierend und auch unnötig
Weitere Kostenlose Bücher