Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
konspirativ klingen ließ.
Ruth-Dorthe Nordgarden überraschte Larsen durch eine Ruhe und Klarheit, wie er sie nie bei ihr erlebt hatte. Sie ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und antwortete ausgesprochen plausibel. Er atmete auf, alles in allem würde diese Konferenz doch nicht zum Fiasko werden. Das einzige, was ihm noch ein wenig Sorgen machte, war, daß Liten Lettvik ganz still in der ersten Reihe saß und sich nicht eine einzige Notiz machte. Erst als der Hagelschauer von Fragen ein wenig nachgelassen hatte, sprang sie plötzlich auf und bat um das Wort.
»Ich habe mit großem Interesse registriert, daß Sie alle historischen Tatsachen ans Licht bringen möchten«, sagte sie und stellte voller Zufriedenheit fest, daß die anderen verstummten und sie anstarrten.
Sogar die Fotografen legten eine Pause ein. Alle wollten Liten Lettvik hören, sie hatte den Stein ja schließlich ins Rollen gebracht.
»Und das mit dem Einkauf der Impfstoffe ist ja wirklich interessant. Sind Sie sicher, daß Achenfarma den Impfstoff hergestellt hat?«
Ruth-Dorthe Nordgarden sah verwirrt aus, ein leichtes Zucken wanderte auf ihrer linken Wange auf und ab.
»Ja«, sagte sie. »Der Impfstoff wurde tatsächlich dort gekauft.«
»Ich habe nicht gefragt, wo der Impfstoff gekauft wurde«, sagte Liten Lettvik. Sie stand breitbeinig da, ihre struppigen Haare standen nach allen Seiten ab, und ihr ganzer Körper sah so eifrig aus wie der eines in die Jahre gekommenen, übergewichtigen Jagdhundes, der den Welpen zeigen will, wie man’s macht. »Ich frage, wer ihn hergestellt hat.«
»Na ja«, sagte Ruth-Dorthe Nordgarden und blätterte in ihren Unterlagen. Dort fand sie keine Antwort und blickte deshalb Edvard Larsen hilfesuchend an. Er schüttelte den Kopf und zuckte leicht mit den Schultern.
»Also, hergestellt … gibt es denn in der pharmazeutischen Industrie auch Zwischenhändler?«
»Dürfen wir das als Frage auffassen?« fragte Liten Lettvik. »In dem Fall kann ich mitteilen, daß der Impfstoff, der 1965 etwa tausend Säuglinge das Leben gekostet hat, in der DDR hergestellt wurde. Von einer Firma namens Pharmamed, die noch immer existiert, inzwischen jedoch privatisiert worden ist.«
Nach einem Moment totaler Stille wurde es laut. Die Fernsehjournalisten wanderten durch den Saal, hielten Liten Lettvik ihre Mikrofone hin und erteilten ihren Kameraleuten leise den Befehl, zwischen ihr und der Ministerin zu wechseln.
»Wir bei der AZ haben nämlich das geschafft, was der Grinde-Kommission bisher nicht gelungen ist«, sagte Liten Lettvik jetzt mit einem breiten Lächeln. »Wir haben ausländische Archive untersucht. Das war ganz einfach.«
Wieder lächelte sie, herablassend und boshaft, und ging dann zum Podium, wo sie vor der Ministerin einige Papiere auf den Tisch fallen ließ.
»Der VEB Pharmamed erhielt 1964 die Exportlizenz für eine Partie Impfstoff, die an Achenfarma gehen sollte. Doch der Dreifachimpfstoff gelangte niemals auf den niederländischen Markt. Er wurde lediglich mit einer neuen Verpackung versehen, dann wurde die gesamte tödliche Ware nach Norwegen weiterverkauft.«
Ein junger Mann kam hereingestürzt, blieb einen Moment lang stehen und schaute sich mit wilden Blicken um. Dann entdeckte er Liten Lettvik, lief auf sie zu und reichte ihr eine Zeitung.
»Danke, Knut«, sagte sie und gestattete sich einen arroganten Blick.
Dann hielt sie die Zeitung hoch.
»Das ist die Sonderausgabe der AZ, die in diesem Moment an die Kioske kommt«, sagte sie und ließ ihren Blick über ihre Kollegen schweifen. »Da könnt ihr alles Weitere lesen.«
Sie lachte kurz, atmete zweimal tief durch und fügte hinzu:
»Ich habe auch einen Brief gefunden. Vom norwegischen Sozialministerium an Achenfarma, datiert vom zehnten April 1964. In diesem Brief wird der Impfstoff angemahnt. Und ganz am Ende steht, ich übersetze es der Einfachheit halber ins Norwegische: ›Das Sozialministerium bestätigt, daß ein Teil der Summe direkt an den Zwischenhändler gezahlt wird.‹«
Ruth-Dorthe Nordgarden schien gar nicht mehr zu atmen. Larsen hätte für sein Leben gern die Pressekonferenz abgebrochen, er wußte jedoch, daß das alles nur noch schlimmer machen würde.
»Ich möchte alle Anwesenden daran erinnern«, sagte Liten Lettvik, und jetzt wandte sie sich gleichermaßen an ihre Kollegen wie an die Ministerin, »daß das während der kältesten Jahre des kalten Krieges war. Drei Jahre nach Bau der Berliner Mauer. Damals war die
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