Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
zweimal den Teich, und danach war sein Körper hellwach, während sein Kopf schwer blieb. Er kochte Kaffee und machte sich vier Brote mit billigem Kaviar.
Er schaltete das Radio ein, aber es war nur laute Popmusik zu hören. Brage Håkonsen gefiel das nicht. Er nahm sich ein Buch von David Irving und las beim Essen.
Bestimmt hatte er seinen Job verloren. Jetzt hatte er schon vier Tage unentschuldigt gefehlt, und sein ewig vergrätzter Lagerchef würde ihn sicher anspucken, wenn er sich noch einmal sehen ließe. Aber das hatte er nicht vor. Zumindest wollte er jetzt nicht an diese Möglichkeit denken. Er hatte Geld auf der Bank und lebte genügsam.
Draußen war es inzwischen ganz hell, und er schaute aus dem Fenster. Es wäre vernünftig, zum Kartoffelkeller zu gehen, solange es noch früh war. Ab und zu kamen an den Wochenenden Leute hier vorbei, obwohl der Weg über zweihundert Meter entfernt war. Der Weiher lockte die wenigen Wanderer an, die sich so tief in den Wald hineinwagten, und er hatte den Versuch aufgegeben, sie mit »Angeln und Baden verboten«-Schildern zu verscheuchen. Die Forstverwaltung entfernte die Schilder ja doch immer wieder.
Er zog einen Trainingspullover über und stieg in seine Turnschuhe.
Die Morgenluft duftete leicht nach Erde und Wald, und ihm wurde davon schwindlig, obwohl er doch schon draußen gewesen war. Er lief die vierzig Meter zu dem kleinen Hang weiter im Osten. Die Tür zum Kartoffelkeller war von Tannenzweigen und Reisig verdeckt; wer nicht wußte, daß sie sich dort befand, hätte sie nicht gefunden.
Er legte sie frei, stapelte die Zweige neben der Tür auf und zog den Schlüssel zu dem riesigen Hängeschloß aus einer kleinen Tasche in einem seiner Turnschuhe. Das Schloß war gut geschmiert, und ohne Probleme konnte er die schwere Türe heben, deren Angeln dabei ein wenig ächzten. Brage hielt einen Moment inne und horchte. Dann atmete er auf, legte die Tür vorsichtig neben der Lukenöffnung ab und stieg in das schwarze Loch. Seine Augen mußten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, und er schaltete seine Taschenlampe ein.
Dann hörte er etwas. Zweige brachen. Er hörte Schritte.
»Komm raus da«, rief eine Stimme laut und gebieterisch.
Einen Moment lang schätzte er seine Möglichkeiten ab. Er hatte die eben erworbene Pistole in der Tasche. In der Hand hielt er Munition. Vor ihm lagen vier G 3 und zwei Schrotgewehre, dazu vier Salongewehre. Und im Regal hatte er Munition für alle. Er würde noch laden können. Er könnte sich den Weg freischießen.
»Komm sofort raus«, brüllte der Mann draußen.
Barge Håkonsen spürte, wie die Angst sein Zwerchfell packte. Er versuchte, das Paket mit den Pistolenkugeln zu öffnen, aber seine Finger waren klamm und gehorchten ihm nicht.
Ich trau mich nicht, dachte er plötzlich. O verdammt, ich trau mich nicht.
Mit zusammengebissenen Zähnen verließ er rückwärts den Kartoffelkeller. Ihm standen die Tränen in den Augen, aber er schluckte und schluckte und konnte dadurch eine gewisse Kontrolle behalten.
Draußen warfen sie sich auf ihn. Er lag platt wie eine Kröte auf dem Boden und spürte den Geschmack des Waldbodens, als Tannennadeln in seine Nase und seinen Mund eindrangen. Es tat weh, als sich die Handschellen um seine Handgelenke schlossen.
»Die sind zu eng«, schrie er und spuckte aus. »Scheiße, die sind zu eng!«
Der eine Mann war schon im Kartoffelkeller gewesen.
»Schau mal«, sagte er, während sein Kollege Brage auf die Füße zog. »Was haben wir denn hier?«
In der einen Hand hielt er eine G 3. In der anderen den Kasten mit den Unterlagen. Den Plänen. Den großen Ideen.
»Ich glaube, wir haben dich ganz schön über den Tisch gezogen, was?« sagte der Mann und lachte laut. »Du hast uns wohl für Dilettanten gehalten, die nur die Haustür überwachen.«
Das Lachen hallte über dem Weiher wider, und auf der anderen Seite schrie ein großer Vogel.
»Alte Schwuchtel«, fauchte Brage.
Der Polizist, der ihn festhielt, ein kräftiger Bursche von vielleicht fünfzig, grinste breit.
»Selber Schwuchtel«, sagte er und zog Brage hart und energisch in Richtung Hütte.
Severin Heger war schon vorgelaufen, um Verstärkung zu holen.
9.40, Kirkeveien 129
Diese Kopfschmerzen würden sie noch umbringen. In ihre Schläfen schienen sich spitze Nägel zu bohren, und ihre Augen litten unter einem Druck, dessen Herkunft sie einfach nicht identifizieren konnte. Am Vorabend hatte sie nichts getrunken, seit dem
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