Im Zeichen des Schicksals
sengender Zorn.
»Nimm die Hände von mir.« Meine Stimme war leise, aber Ian hörte mich. Er wirkte für einen Sekundenbruchteil überrascht, dann zog er die Hände weg, eine Entschuldigung auf den Lippen. »Sei still!«, kam ich ihm zuvor und stand auf. Es tat nichts zur Sache, dass er mir gar nicht hatte wehtun wollen. Ich wollte einfach nicht, dass mich irgendwer aus Ärger und Wut anfasste. Nie wieder sollte das geschehen. Ich holte tief Luft und sah an all den neugierigen Blicken vorbei, nur um direkt in die Augen von Josh zu blicken. Oh verdammt.
»Was ist los?«, fragte Josh mit trügerisch sanfter Stimme.
Ian stand auf, und seine Verärgerung war ihm deutlich anzumerken. »Das geht dich nichts an, Beaumont.«
Josh würdigte ihn keines Blickes und starrte mich an. »Celine?«
In der ganzen Mensa war kein Laut zu hören. Mein Gesicht brannte vor Scham. Mir blieb wirklich nur noch eins: weglaufen . »Ich muss hier raus.«
Weder Ian noch Josh versuchten, mich aufzuhalten. Und ich war ungefähr zehn Sekunden lang froh darüber, bis sich die Schuldgefühle meldeten.
Der Eremit
Den Rest des Schultages verbrachte ich damit, von Kurs zu Kurs zu gehen und mich unauffällig im Hintergrund zu halten. Das war nicht leicht, da, wo immer ich hinging, ständig Leute auf mich zeigten und tratschten, aber zumindest verursachte ich keine weiteren Szenen mehr. In Erdkunde fragte mich Melissa, wie mein »Gespräch« mit Ian gewesen sei. Sie war nicht lange genug geblieben, um mich fortgehen zu sehen, also sagte ich ihr, es sei ganz gut verlaufen. Ich wollte nicht über Ian sprechen. Und der einzige Mensch, den ich sprechen wollte, war Ian. Ich musste mich entschuldigen. Musste Danke sagen.
Aber als es zum Schulschluss läutete, war Ian nirgendwo zu entdecken. Da Josh noch Rugbytraining hatte, musste ich allein zum Haus der Beaumonts zurückkehren. Was auch gut war. Josh würde wahrscheinlich darüber reden wollen, was im Chemiesaal und in der Mensa passiert war, und ich hatte nicht die Energie, seine Fragen zu beantworten. Ich musste zuerst meine Gedanken ordnen.
Ich machte einen Bogen um die Busse und entschied mich, stattdessen den Weg durch die Stadt zu Fuß zu gehen. Es war ein schöner Tag. Es war nicht mehr so drückend heiß wie im August, und die Kälte des Winters war noch weit weg. Ich brauchte keine Jacke, daher trug ich sie in der Hand, als ich durch den Park von East Wendell ging.
Hohe Bäume säumten den Weg durch den Park, streckten ihre Äste aus wie Finger, die nach dem Himmel griffen. Eichhörnchen huschten durchs Gras und kletterten hastig die Baumstämme hinauf, während drüben bei den Klettergerüsten drei kleine Mädchen kichernd versuchten, ihre Hula-Hoop-Reifen zu schwingen. Als ich an ihnen vorbeiging, dachte ich, dass sie wohl nicht viel älter als fünf oder sechs sein könnten. Lachend und rufend forderten sie ihre Mütter auf, zu ihnen herzuschauen. Sie wirkten so sorglos, so glücklich.
Komisch. Glück hatte nie auf der Liste meiner vordringlichsten Ziele gestanden. Meine Wunschliste hatte im Wesentlichen immer nur zwei Posten umfasst: Überleben und Sicherheit. Nicht, dass mein Leben fürchterlich unglücklich gewesen wäre, aber glücklich zu sein war nichts, was mich je groß beschäftigt hätte.
Jetzt wollte ich glücklich sein.
An den Weg durch den Park schloss sich wieder die Straße an, ich folgte den Reihen blauer Blumen zur Rose Street, ging dann durch das Tor und lief unter dem Tunnel grüner Äste zum Haus der Beaumonts hinauf. Wie schnell man sich doch an alles gewöhnt – ich hatte mich bereits an den Anblick der Villa gewöhnt.
»Mademoiselle Celine!« Marie winkte mir aus einem der Vorderfenster zu. Sie öffnete es, und lateinamerikanische Musik drang aus dem Inneren des Hauses.
»Hallo, Marie!«, rief ich und trat von außen ans Fenster heran. Marie machte mit dem blauen Putzlumpen in ihrer Hand eine kleine Salsabewegung, was mich zum Lachen brachte. »Tolle Musik!«
»Es ist Juanes.« Sie lächelte, und ihre Augen funkelten. »Meine älteste Tochter hat mir die CD geschenkt.«
»Das war nett von ihr«, erwiderte ich.
»Wenn man das hört, will man sich dazu bewegen, n’est-ce pas? «
Das stimmte, aber das würde ich nicht sagen. Sonst würde mich Marie als Nächstes noch zum Tanzen auffordern. »Schöne Musik. Ich glaube, ich werde mal einen Kaffee kochen, möchten Sie auch eine Tasse?«
»Die Tür ist offen, Mademoiselle Celine. Aber ich sollte jetzt wohl
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