Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
den Fang eingenommen haben. Dougie Evans gibt mir die Schuld. Er sagt, wenn ich ihm nicht genug Fisch bringe, sucht er sich einen anderen Skipper für sein Boot.«
»Das kann er doch nicht tun, Tom! Wir müssen Rechnungen bezahlen und das Baby kommt bald.« Tante Bev wirft einen kurzen Blick in meine Richtung. »Und außerdem haben wir auch noch zwei zusätzliche Mäuler zu stopfen.«
»Ich weiß, Bev, ich weiß.«
»Tom, wir brauchen das Geld!«
Onkel Tom knallt die Hand auf den Tisch. »Was glaubst du denn, worum ich mich bemühe?«
Daisy schnappt sich meinen Arm und schmiegt sich an mich. Ihre Augen huschen zwischen ihrer Mum und ihrem Dad hin und her.
Tante Bev schiebt eine Scheibe Schinkenspeck auf mein Brot und gibt es mir in die Hand. »Los jetzt, ihr beiden, Zeit, zur Schule zu gehen.«
Ich nehme Daisy an der Hand und wir rennen in Richtung Strandpromenade. Statt auf den Hügel zuzusteuern, führe ich sie die Küstenstraße entlang.
Daisy hält meine Hand ganz fest. »Wir gehen doch nicht zur Schule?«
Ich schüttele den Kopf. »Wir schauen uns den Delfin an.«
Unter den wenigen Autos, die auf dem Parkplatz am Kap stehen, befinden sich der Wagen der Tierärztin und GregsPick-up. Ich bin erleichtert, als ich niemanden auf dem Weg oberhalb des Bassins entdecke. Carl sitzt, in einen Schlafsack gehüllt, vor einem der Zelte. Er winkt uns zu sich. Auch Felix und sein Dad sind dort.
Daisy und ich schlüpfen unter dem Absperrband der Polizei durch und klettern die Stufen hinunter.
Im Schatten des frühen Morgens sehen die Felsen dunkelviolett aus. Das Meer schimmert blassblau. Über dem Wasser schwebt ein dünner Nebelschleier. Noch ist es kühl, aber später – das spüre ich – wird es ein warmer Tag werden. Unterhalb des Blauen Bassins durchschneidet eine eingekerbte Rückenflosse die Wasseroberfläche.
Carl sieht uns an und grinst. »Wir haben eine gute Nachricht. Die Delfinmutter ist zurückgekommen.«
»Wissen wir«, strahlt Daisy.
Ich stupse sie in die Rippen. »Wir haben immer dran geglaubt, dass sie zurückkommt.«
Im Zelt klingelt ein Handy. »Das ist meins«, sagt Carl und kriecht ins Zelt.
Mr Andersen schaut auf seine Uhr und betrachtet uns nachdenklich. »Solltet ihr beiden nicht gerade auf dem Weg zur Schule sein?«
»Wir wollten nur den weißen Delfin sehen«, sage ich.
»So ging’s mir auch«, sagt Felix. »Wir können euch mitnehmen. Stimmt doch, Dad?«
Mr Andersen nickt. »Wir sollten lieber nicht mehr so lange bleiben. Ich denke, wir sind spät dran.«
Ich drehe mich zu Daisy, aber sie hat sich schon von uns entfernt und läuft über die Felsen zum Rand des Beckens.
»Sie ist wohl immer noch wütend auf mich?«, fragt Felix.
Ich lächle. »Seit dem Vorfall hat sie ihr Feenkostüm nicht mehr getragen.«
Ich schließe mich Felix an. Langsam überquert er den unebenen Boden und stützt sich mit dem gesunden Arm am Fels ab.
»Hast du was auf dem Memorystick gefunden?«, frage ich.
Felix schüttelt den Kopf. »Er ist durch ein Passwort geschützt. Ich hab’s mit deinem Namen versucht und mit Moana und mit vielen anderen, aber bis jetzt hab ich das Passwort noch nicht geknackt. Gibt’s irgendetwas, was deine Mum sonst noch benutzen könnte?«
Ich zucke mit den Schultern. Es könnte alles sein, angefangen bei ihrem Lieblingsessen bis zum lateinischen Namen für Seestern.
Ich ducke mich unter die weiße Plane und gehe neben Daisy in die Hocke. In einem Eimer neben mir schwimmen die Reste einer dunkelbraunen Flüssigkeit. Wie gekochte Spaghetti kleben zerzauste Stückchen ausgeweideter Innereien am Eimer. Ich rümpfe die Nase. Es stinkt nach Fisch. Greg ist im Wasser und stützt das Rettungsgestell. Vor dem Delfin steht eine Frau und hält einen Trichter in die Höhe. Daran hängt ein langer Schlauch, der ins Maul des Delfins führt.
Die Frau lächelt mich an. »Du musst wohl Kara sein. Carlhat mir alles über dich erzählt. Übrigens, ich bin Sam, die Tierärztin.«
Ich lächle zurück und sehe mir den weißen Delfin an. Ich beuge mich nach vorn, um ihm ins Auge schauen zu können. Das Kälbchen blinzelt und erwidert den Blick. Ob es mich wohl erkennt, ob es sich daran erinnert, wer ich bin?
»Wird es sich jetzt erholen?«, frage ich.
Sam nickt. »Es hat eine reelle Chance. Wenn es im Wasser das Gleichgewicht halten und sich selbst ernähren kann, können wir es freilassen.«
Daisy schiebt ihre Haarlocken nach hinten. »Können wir helfen, das Kälbchen zu
Weitere Kostenlose Bücher