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Im Zimmer wird es still

Im Zimmer wird es still

Titel: Im Zimmer wird es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Walther
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Augen. Er streicht über seine Wange. Dann setzt er sich wieder zu Tamara und trinkt seinen Kaffee. Tamara ist still geworden, sie trinken schweigend ihren Kaffee aus.
    »Geht doch los. Das Wetter ist wirklich schön.«
    »Ja, aber dann lassen wir dich ja allein«, Tamara schaut bedauernd zu Peter.
    »Geht nur. Mark wird dann bald kommen. Er hat einen Schlüssel.«
    »Na gut.« Sie erheben sich, Tamara legt Peter die Hand auf die Schulter: »Ich sag später noch Tschüs.«
    »Schön.«
    Er beugt sich über Peter und küsst ihn. »Pass auf dich auf.«
    »Viel Spaß«, Peter greift kurz nach Tamaras Hand, bevor sie sich von ihm löst.
    Sie gehen nach draußen, überqueren den Hof und biegen in die Dorfstraße ein. In den Vorgärten leuchten Dahlien und sattgelber Sonnenhut, Rosen überbieten sich in einem späten, üppigen Endspurt, Sonnenblumen lehnen sich an einen Zaun. Das Licht ist klar und strahlend, rote Äpfel in sattem Grün vor einem fast unnatürlich blauen Himmel. Schon nach kurzer Zeit krempelt er die Ärmel seines Hemdes hoch, so warm ist es. Er blinzelt in die Sonne.
    »Wie geht es Peter?«, fragt Tamara. Sie sieht ihn von der Seite an. Sein Blick folgt einem Bussard, der über dem Feld kreist.
    »Eigentlich noch ganz gut. Besser als zu erwarten wäre.«
    »Er wirkt so stark.«
    »Ja, das ist er.«
    Sie gehen weiter am Feldrain entlang, lassen die letzten Häuser hinter sich. Die Straße wird zu einem Feldweg, der leicht ansteigt. Sie erreichen eine Ansammlung alter Eichen auf der Kuppe. Unter ihnen steht eine Bank aus Feldsteinen und sie setzen sich auf die Lehne. Sein Blick folgt den Linien der krümeligen Ackerfurchen. Ein leichter Wind kommt auf, der mit Tamaras Haaren spielt.
    »Tut mir leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe«, sagt Tamara.
    »Ich hätte mich ja auch melden können.«
    Tamara holt eine Packung Zigaretten aus ihrer Jackentasche. Sie zündet sich eine Zigarette an, wobei sie sich wegdreht, um die Flamme vor dem Wind zu schützen. Es kommt ihm fast wie ein Déjà-vu vor, so vertraut sind ihm ihre Bewegungen dabei. Sie streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr, weil der Wind sie vor ihr Gesicht weht, und sein Herz wird ihm schwer. Er erinnert sich, wie sie immer auf dem Mäuerchen hinter dem Kücheneingang saßen, Tamara rauchte, entlockte ihm binnen Kurzem seine Geheimnisse und Sorgen, und erzählte ihm von ihren Problemen. Er sieht sie an: »Wie geht es dir? Hast du einen Freund?«
    »Nein. Wir haben einen neuen Koch. Er gefällt mir. Aber ich komm nicht an ihn ran.«
    »Stell ihn mir mal vor.«
    Tamara lacht. »Stimmt, hattest du nicht mal was mit diesem Koch.«
    »Das war doch nur ein harmloser Flirt.« Er stimmt in ihr Lachen ein.
    Tamara schnippt Asche in den Wind, zieht an der Zigarette, während sie über die Felder sieht und dabei die Augen zusammenkneift.
    »Ich bewundere dich, wie du das alles schaffst«, sagt sie.
    Er hebt eine Eichel auf. »Da gibt es nichts zu bewundern. Manchmal halte ich es kaum aus.« Er blickt auf, um Tamaras Reaktion zu sehen. Sie sagt nichts, schaut ihn nur mitfühlend an. Er beschäftigt sich wieder mit der Eichel, löst sie von ihrem Stiel.
    »Ich bin andauernd müde und erschöpft, hab keine Energie.«
    »Das ist doch kein Wunder. Du stehst ja auch mit allem alleine da.«
    Er schüttelt den Kopf: »Wenn’s nur das wäre«, er sucht nach Worten, um es ihr zu erklären, »Ich bin kein guter Pfleger. Manchmal vergesse ich etwas, mache etwas falsch. Ich kriege das nicht hin. Am Ende richte ich noch Schaden an.«
    »Ich bin sicher, du gibst dein Bestes.« Tamara sieht ihn immer noch mit diesem unaufdringlich mitfühlenden Gesichtsausdruck an.
    »Du verstehst nicht«, sein Blick schweift zum Horizont, »Ich … wenn ich seine Beine sehe, gelähmt und bleich und dünn … Ich kann nicht hinsehen, ekle mich fast. Und die wundgelegene Stelle an seinem Steißbein. Eigentlich müsste er immer umgelagert werden, aber das ist nicht machbar, weil seine Wirbelsäule zu angegriffen ist. Es müssen wahnsinnige Schmerzen sein. Ich weiß nicht, wie er die Schmerzen und das alles aushält. Und ich kann nichts tun.« Er schluckt. Merkt, dass er Dinge ausgesprochen hat, die er noch niemandem anvertraut hat. Nicht einmal Mark, vor dem er sich deswegen schämt. Auch nicht seiner Mutter, die sich immer bemüht, gute Laune zu verbreiten.
    Tamara setzt zum Sprechen an, schweigt dann aber. Er sieht jetzt, was sich an ihr verändert hat. Sie ist älter geworden,

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