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Im Zimmer wird es still

Im Zimmer wird es still

Titel: Im Zimmer wird es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Walther
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ernster.
    Tamara zieht konzentriert an ihrer Zigarette: »Ich hab eine Idee. Einmal die Woche komm ich und bleibe bei Peter. Dann kannst du an dem Tag was anderes machen, Dinge erledigen, den Kopf freikriegen.«
    »Ach komm, das wird doch zu viel. Du arbeitest schließlich.« Aber noch während er das sagt, begreift er, was das Angebot bedeutet. Ein Tag in der Woche. Vielleicht auch nur ein halber. Vielleicht hätte er nicht so schnell ablehnen sollen.
    »Ich könnte mich doch mit jemandem abwechseln. Mark zum Beispiel. Oder anderen Freunden. Wenn das jeder einmal im Monat macht, ist es bestimmt nicht zu viel.«
    Tamara scheint sich für die Idee regelrecht zu begeistern. Sie hustet, weil sie zu hastig geraucht hat. Er klopft ihr auf den Rücken, dann legt er die Hand um ihre Schulter.
    »Ich denk darüber nach. Okay?«
    Sie nickt und drückt ihre Zigarette aus.
    »Komm, lass uns gehen.« Er nimmt Tamaras Hand, als sie aufstehen und hält sie weiter, während sie den Feldweg entlanggehen. Wenn sie jemand so sähe, hätte das Dorf bestimmt ein neues Gesprächsthema. Er muss lachen. Macht sich los und rennt ein Stück voraus. An der Straße stoppt er und wartet auf Tamara, die Hände auf die Knie gestützt. Seit Ewigkeiten hat er keinen Sport mehr gemacht, ist von dem kleinen Stück schnell außer Atem. Er blickt auf, sieht Tamara entgegen. Als sie neben ihm steht, richtet er sich auf und stützt sich so lange auf ihrer Schulter ab, bis er wieder zu Atem gekommen ist.

9
    Tamara steigt in ihr Auto und winkt, während sie wegfährt. Sie hat sich sehr lieb von Peter verabschiedet, ist aber dann eilig aufgebrochen, weil sie zur Arbeit muss. Er schaut ihr nach, wendet sich dann um und geht über den Hof. In der Zeitungsrolle steckt Werbung und eine Zeitung, die er mitnimmt. Es ist immer noch angenehm warm und er setzt sich auf die Bank.
    Einen Moment stellt er sich vor, mit Tamara mitzufahren, mit ihr zu arbeiten, und wird wehmütig bei dem Gedanken. Sie hatten einen ähnlichen Arbeitsstil, freundlich, schwungvoll und flott. Oft fanden sie einen Rhythmus bei der Arbeit, harmonierten wortlos, gingen dicht aneinander vorbei, ohne sich ins Gehege zu kommen. Und er mochte die vertrauten, entspannten Pausen mit ihr, ihr Lachen und ihre Lockerheit.
    Als er die Stelle im ›Stadtgarten‹ aufgab, hatte er am meisten bedauert, nicht mehr mit Tamara zusammenzuarbeiten. Von einem neueröffneten Sternerestaurant hatte er ein Angebot erhalten und überlegte lange, ehe er wechselte.
    Sein neuer Chef machte ihn gleich zum Restaurantleiter, obwohl er noch nie in einem so gehobenen Restaurant gearbeitet hatte. Peter war stolz und unterstützte ihn wo immer er konnte. Aber er hatte gerade begonnen, an den Wochenenden Goldschmiedekurse zu geben, sodass er nicht viel Zeit hatte. Sie hatten kaum gemeinsame freie Zeit. Und wenn, dann waren sie zu erschöpft, um etwas zu unternehmen. Sie trafen sich nur noch zwischen Tür und Angel. Sprachen am Telefon oder über den Anrufbeantworter miteinander. Sie sahen sich höchstens lange genug, um ›Gute Nacht‹ oder ›Guten Morgen‹ zu sagen. Sie benutzten eingefahrene Worte wie ›Hallo Schatz‹, ›Tschüss mein Kleiner‹ wie hohle Phrasen ihrer blassen Gefühle, küssten sich mit trockenen Lippen. Wenn sie einmal etwas Zeit hatten, gerieten sie schnell aneinander, stritten sich sinnlos, weil sie erschöpft waren, sich nach Zuwendung sehnten, aber dünnhäutig waren.
    Inzwischen verdiente er mehr, war aber immer noch weit von Peters Einkommen entfernt. Oft war es ein Ringen zwischen ihnen, wenn Peter ihn in ein teures Restaurant einladen oder den Urlaub in einem erstklassigen Hotel verbringen wollte. Manchmal stritten sie sich, suchten nach Kompromissen, einem Hotel, das am oberen Rand seiner finanziellen Möglichkeiten lag, oder einem netten Restaurant, in das er Peter einlud.
    Mit ihrer Arbeitsbelastung wurde es besser, als Peter stundenweise eine junge Frau für das Geschäft einstellte. Er selbst bemühte sich, weniger Überstunden zu machen. Sie fanden wieder Gelegenheiten, Atem zu holen, konnten wieder mehr Zeit miteinander verbringen. Peter versuchte, abends auf ihn zu warten. Er lag im Bett und las in seinen Bildbänden über Schmuck oder Kunstgeschichte. Manchmal war er doch eingenickt, seine Lesebrille noch auf der Nase. Oder er zeigte ihm Fotos, schwärmte von keltischem Gold oder bewunderte die Einlegetechnik der alten Ägypter. Manchmal fanden sie nicht die Kraft, noch miteinander

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