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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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unverwandt anstarrte, komplett verwirrt von der Tatsache, dass der höfliche Türke auch an einem anderen Ort als seinem kleinen Laden in Hamburg existierte und auch mal etwas anderes machte, als Feldsalat abzuwiegen. Urlaub zum Beispiel. Wer hätte das gedacht?
    Der Mann, der mich zuvor ausgelacht hatte, kam aus dem Café und stellte mir ein Glas Orangensaft vor die Nase, sprach auf Türkisch mit dem Gemüsehändler und nickte mir entschuldigend zu.
    »Meinem Bruder tut das leid mit dem Witz. Und dass er gelacht hat. Deswegen schenkt er dir diesen Saft.« Der höfliche Türke machte eine pathetische Geste, als handelte es sich bei dem Inhalt meines Glases nicht um Orangensaft sondern um flüssiges Gold.
    Da ich kein Türkisch sprach und nicht wusste, ob der Cafébesitzer Deutsch verstand, nickte ich ihm zum Dank zu. Er nickte zurück. Ich nickte wieder. Und dann er. Ich fragte mich, ob das niemals enden würde, aber da verschwand er auch schon wieder in seinem Café. » Das ist Ihr Bruder?«, fragte ich und konnte ein gewisses Erstaunen nicht verbergen.
    Der höfliche Türke wusste, worauf ich anspielte. »Jaaa«, antwortete er gedehnt und winkte ab. »Junger Bruder. Er und seine Familie haben dieses Café hier in Lagos, und ich und meine Familie kommen einmal in Jahr zu Besuch und machen Urlaub.« Er machte eine Pause und sah mich durchdringend an. »Ich weiß, was du denkst.«
    »Ach ja?«, fragte ich und nahm einen Schluck von meinem Saft. Er war frisch gepresst und köstlich.
    »Ja«, sagte der höfliche Türke. »Aber zu deine Information: Er hat Haare, ich Nase fürs Geschäft.« Er tippte sich an die selbige, um seine Aussage zu unterstreichen. » Ich würde nie einen Witz machen auf Kosten von Kunden. Schlechte Witz auch noch. Schlechte Witz – schlecht für Geschäft. Aber er «, ein Nicken in Richtung der Tür, »er hat keine Ahnung. Er hat Haare, statt Hirn.«
    »Tja«, sagte ich. In der Tat waren außer dem Tisch, an dem wir saßen, alle anderen frei. Ich vermutete aber, dass das eher an der Tageszeit als an der festgeklebten Münze lag. Abends um sieben wollten die Touristen eben keinen Kaffee mehr trinken, sondern lieber ein Schnitzel essen. Mit Pommes.
    Der Gemüsehändler trank schlürfend aus seiner winzigen Espressotasse und sah mich über den Rand hinweg forschend an. »Aber du hast nicht geweint, weil mein Bruder schlechte Witz gemacht hat, oder?«
    »Nein.« Ich war ja nicht mehr vier Jahre alt. Ich betrachtete den Türken in der Sommerfrische und beschloss, dass es länger dauern würde, mir eine plausible Ausrede für meinen Zusammenbruch zu überlegen, als einfach die Wahrheit zu sagen, kurz und kompakt. »Ich habe Probleme mit meinem Freund. Ich weiß auch nicht … Ich glaube, wir trennen uns bald.« Ich wischte einen Krümel vom Tisch und murmelte, mehr zu mir selbst als dass es für seine Ohren bestimmt war: »Wenn das nicht schon längst passiert ist.«
    Der Gemüsehändler ließ die Mundwinkel hängen. »Das ist sehr traurig.«
    »Ja.«
    »Und warum ist das?«
    »Na ja, Trennungen sind immer traurig …«
    »Nein«, er schüttelte den Kopf. »Warum trennen?«
    Ich wünschte, ich hätte einen konkreten Grund gehabt. Er hat mich betrogen, zum Beispiel. Nicht dass ich mir das wünschte, aber das verstand wenigstens jeder. Leider hatte ich jedoch keinen konkreten Grund. Ich hatte nur ein diffuses Gefühl. Ich hatte nichts als Zweifel. Ich wusste nicht, ob Richard überhaupt der Richtige für mich war. Ob er vielleicht nicht nur nicht der Richtige war, sondern, schlimmer noch, sogar der absolut Falsche. »Es ist alles nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe«, sagte ich schließlich, und fühlte mich schrecklich. Oberflächlich und verwöhnt. Und zu allem Überfluss hatte ich jetzt auch noch Bettys vorwurfsvolle Stimme im Kopf, die seufzte: Ach, Schätzelein. Jetzt hast du’s schon wieder gesagt.
    Der höfliche Türke allerdings nickte bedächtig. »Verstehe.«
    »Wirklich?« Ich sah ihn erstaunt an. Er verstand mich? Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass das schon jemals vorgekommen war. Dass mich irgendjemand jemals verstanden hätte.
    »Ja«, bekräftigte er, »ich verstehe. Aber was ist mit Liebe?«
    »Liebe?«
    »Liebe.« Der höfliche Türke lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und ließ den Blick über den Touristenstrom gleiten, der in der Abendsonne an uns vorbeizog, alle auf der Suche nach Futter. »Als ich zum ersten Mal meine Frau sah, war es wie ein Blitz. Ich wusste:

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