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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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die Antwort nicht und stellte mir deswegen immer wieder dieselben Fragen: Was bedeutete es, dass ich nicht wusste, ob ich mit Richard zusammenbleiben wollte? Sollte man mit jemandem zusammen sein, wenn man nicht zu hundert Prozent wusste, dass man das wollte? Musste man sich trennen, wenn man sich nicht mehr zu hundert Prozent sicher war? Meine Gedanken waren wie bockige Rodeopferde. Ich bekam sie nicht unter Kontrolle, und irgendwann verlor ich den Halt, fiel. Und lag im Dreck.
    Perfekt, dachte ich. Da stand ich nun in Lagos an der Algarve, sollte eigentlich meinen Jahresurlaub genießen, und stattdessen war ich so erschöpft und traurig wie seit Jahren nicht mehr. Wegen eines Mannes, der gar nicht da war. Wie machten die das eigentlich immer? Männer – mussten nicht einmal anwesend sein, um einem alles zu versauen. Ich war derartig verwirrt und aufgewühlt, ich hätte nicht einmal sagen können, warum genau ich jetzt hier stand und schluchzte wie ein kleines Kind, das seine Mutti im Kaufhaus verloren hat.
    So ging das nicht. Ich wischte mir über die Nase und die Augen – bloß weg mit den Tränen, wenn man denen einmal freie Bahn gewährte, waren sie nicht mehr zu stoppen, und man sah wenig später aus wie eine Schildkröte – und ging, den Blick auf den Boden gerichtet, einfach weiter, ohne auf den Weg zu achten. Ich marschierte einfach drauflos. Und plötzlich befand ich mich wieder mitten im touristischen Epizentrum von Lagos. Die Gehwegplatten in meinem eingeschränkten Sichtfeld wurden heller, die Sandalen wurden zahlreicher, dort lag eine Eiswaffel in einer geschmolzenen Eispfütze, hier ein Touristeninformationsblatt der Igreja do Santo António. Die Dinge, die man fand, wenn man seinen Blick auf den Boden gerichtet hielt. Und manchmal fand man auch Nützliches. Geld zum Beispiel.
    Glück im Unglück, dachte ich, als ich die Euro-Münze entdeckte, die in der Abendsonne funkelte. Und obwohl ich eigentlich zu betrübt war, um mich um solch profane Dingen wie Kleingeld zu kümmern, bückte ich mich, um die Münze aufzuheben. Aber ich konnte nicht. Sie klebte am Boden fest.
    Während mein Gehirn sich erst noch mühsam die Information erarbeiten musste, dass ich gerade auf einen dummen, alten Streich hereingefallen war, merkte ich, wie mein Gesicht vor Scham bereits hochrot anlief. Und dann hörte ich auch schon jemanden lachen.
    Ich hob den Kopf und sah einen ziemlich großen, ziemlich behaarten Mann, der vor einem Café stand und sich köstlich über mich und mein blödes Gesicht amüsierte. Weil das alles für ihn anscheinend so unglaublich witzig war, schlug er sich, während er lachte, wiederholt auf die Oberschenkel und zeigte dabei sogar auf mich. Und das war irgendwie zu viel – zu allem Überfluss auch noch ausgelacht zu werden. Meine Tränendrüsen warfen die eben erst stillgelegte Produktion wieder an, und um das Elend komplett zu machen, floss mir ein kleines Rinnsal Rotz aus der Nase. Ich wischte ihn nicht weg, jetzt war eh alles egal.
    Als der gemeine Mann das sah, erstarb das Lachen auf seinem Gesicht. Er kam eilig auf mich zugelaufen und tätschelte mir unbeholfen die Schulter, aber das half jetzt auch nicht. Er hatte Kräfte in Gang gesetzt, die so einfach nicht mehr aufzuhalten waren. Das hatte er nun davon. Während ich weiter schluchzte, nahm ich verschwommen wahr, wie aus dem Café in seinem Rücken ein zweiter Mann kam: klein, mit Schnauzbart und Halbglatze. An irgendwen erinnerte er mich, an den Vater aus den »Vater und Sohn«-Cartoons, das war es. Dachte ich zumindest, bis mir eine Sekunde später klar wurde, dass ich in der falschen Ecke meines Gedächtnisses gekramt hatte und die Wahrheit viel naheliegender war.
    »Das ist aber großer Zufall!«, rief der höfliche Türke und hob überrascht die Hände. »Du hier? In Portugal? Mit Tränen?«
    Es war seltsam, meinem Gemüsehändler im Ferienoutfit gegenüberzusitzen. Zu Hause trug er immer langärmlige Hemden, Cordhosen und darüber eine grüne Schürze. Die hatte er jetzt natürlich nicht dabei, die Cordhose war durch beigefarbene Herrenshorts ersetzt worden, die seine bleichen Beine in all ihrer Pracht zur Schau stellten. Seine Füße steckten in braunen Sandalen, und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, trug er ein Hawaiihemd. Ja, wirklich. In den Farben Rot, Orange und Gelb, mit ein bisschen Grün dazwischen, Palmenblätter und Papageien, der Klassiker. Er rührte in seinem Espresso, und ich ertappte mich dabei, dass ich ihn

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