Im Zweifel suedwaerts
Liberdade, unser Feiertag nacional.«
Ich beobachtete Betty in der Hoffnung, sie würde irgendwie darauf reagieren, dass ich ihre brennende Frage vom Vorabend für sie beantworten ließ. Aber nichts passierte. »Alles klar. Danke«, sagte ich enttäuscht, legte mich wieder flach auf mein Handtuch und ärgerte mich.
»Nix Ursache.« Ana drehte sich wieder zu Lucy um. »Und noch mal: Armando is nich der Sohn von Violante.«
»Doch. Natürlich. Er ist der Sohn von Alvaro, und Alvaro ist der Mann von Violante, also ist Armando auch ihr Sohn.«
»Nein!« Anas Stimme wurde laut vor Ungeduld. »Er is ein bastardo!«
»Das ist ein sehr schlimmes Wort, Ana«, erklärte Lucy in einem tadelnden Tonfall.
»Aber es is so!«
Eine Weile hörte ich dem kleinen Wortgefecht der beiden zu, aber so wenig wie ich von dem verstand, worüber sie redeten, hätte es auch um Cricket gehen können – noch so eine Sache, von der ich keine Ahnung hatte –, und ich langweilte mich bald. Und da ich mich sowieso nicht so gern am Strand in Anas Nähe aufhielt, weil ich beim Vergleich »sie im Bikini – ich im Bikini« so schlecht abschnitt, dass es wehtat, erhob ich mich irgendwann von meinem Badelaken. »Ich geh eine Runde ins Wasser«, informierte ich die beiden, aber sie hörten mich gar nicht. Sie diskutierten erhitzt, was dieser Armando gesagt oder nicht gesagt hatte, wobei Ana, auch was diese Frage betraf, die Nase eindeutig vorn hatte, weil sie die Serie schon länger verfolgte als Lucy. Und außerdem – und das war vermutlich ausschlaggebend – im Gegensatz zu ihr Portugiesisch sprach.
Das Wasser war angenehm erfrischend. Erst leckte es an meinen Zehen, umspülte dann meine Knöchel, meine Knie, und schließlich stand ich bis zur Hüfte im Meer und sprang mit jeder anrollenden Welle in so gut wie schwerelose Höhen. Ich blinzelte dem Horizont entgegen, hinter dem irgendwo Afrika beginnen musste. Ein ganz neuer Kontinent weiter südwärts, eine Landmasse, die ich noch nie betreten hatte, auf der Millionen Menschen lebten, die Probleme hatten, neben denen der Schlamassel, in dem ich gerade steckte, ein Witz war, Stoff für einen seichten Hollywoodfilm. Oder schlimmer noch, den Sonntagabendfilm im ZDF : Die junge Antiquitätenhändlerin Daphne entflieht ihrem Leben in der Großstadt und lässt ihren Freund Richard, einen ehrgeizigen Talentscout, allein zurück. Weit weg von zu Hause begegnet sie unverhofft ihrer Jugendliebe Felix. Alte Gefühle werden wach, und sie muss sich entscheiden: für ein Leben mit Richard im verregneten Hamburg oder eine Zeit des Glücks mit Felix unter der Sonne Portugals.
Genau genommen fehlte in der Geschichte nur eine alte Großtante namens Mildred, die mir ihr Gut oder Schloss oder Boutique-Hotel auf der südwestlichsten Klippe des europäischen Festlands vermachen wollte. Und das war mal wieder typisch. Ich bekam nur das Gefühlwirrwarr.
Und eine Ladung Salzwasser ins Gesicht. Das hatte man davon, wenn man den Wellen nicht zu jeder Zeit seine volle Aufmerksamkeit schenkte. Ich taumelte rückwärts, während ich versuchte, mir das brennende Salzwasser mit meinen vom Salzwasser nassen Händen aus den Augen zu reiben. Es war klar, dass das nicht funktionieren konnte. Parallel dazu fing ich an zu würgen, weil ich aus Versehen einen gefühlten halben Liter von dem Zeug verschluckt hatte. Blind und würgend stolperte ich durchs Wasser. Eben hatte ich noch ein entspanntes Bad im Meer genommen, jetzt dachte ich, ich müsste sterben.
»Richtig, Schätzelein, ist echt zum Kotzen, das alles«, sagte plötzlich eine Stimme neben mir. Ein Arm griff unter meinen, eine Hand schlug mir rhythmisch auf den Rücken.
Ich spuckte Wasser. Die Wellen nahmen auf mich keine Rücksicht. Arschloch-Wellen. Betty führte mich ein bisschen weiter in Richtung rettender Strand und strich mir die nassen, klebrigen Haare aus dem Gesicht.
»Geht’s?«, fragte sie.
»Ja. Danke«, antwortete ich keuchend, nachdem ich eine weitere Ladung Wasser ausgespuckt hatte.
»Gut. Dann kann ich es dir ja jetzt sagen.« Sie sah aus wie eine Amazone mit ihrer braun gebrannten Haut, den aufgetürmten Dreads auf ihrem Kopf und den Händen in den Hüften. Sie stand sicher im Wasser, als wäre der Boden aus Beton. Ich hingegen kämpfte mit dem Gleichgewicht, weil der Sand unter meinen Füßen immer wieder weggespült wurde. Warum hasste mich das Meer bloß so?
Und zu allem Überfluss verstand ich außerdem nicht, was Betty meinte. »Hä? Was
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