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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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während ich träumte, dachte ich die ganze Zeit, dass es nur ein Traum war und ich in der Realität dringend etwas gegen meinen Durst tun musste. Ich war kurz davor zu dehydrieren, wachte aber nicht auf. Ich wälzte mich herum, zerwühlte das Laken und die Decken und stieß irgendwann am frühen Abend mit solcher Wucht gegen die Seite des Busses, wo das Bücherregal angebracht war, dass Skys klebriges Hippie-Buch herunter- und mir auf den Kopf fiel. Erschrocken und verschwitzt rieb ich die Stelle an meiner Stirn, an der mich der Buchrücken erwischt hatte, und blieb noch ein wenig liegen, um mich zu sammeln. Es war noch immer derselbe Tag in derselben Stadt, mit dem einzigen Unterschied, dass ich jetzt vermutlich eine Beule am Kopf hatte. Verschlafen griff ich nach dem aufgeschlagenen Buch, das neben mir auf der Matratze lag, und las den ersten Satz, den meine Augen klar erkennen konnten: »Man liebt, wofür man sich müht, und man bemüht sich für das, was man liebt.« Das hatte der oberschlaue Erich Fromm ganz sicher mal auf irgendeinem T -Shirt gelesen. Oder auf einem Kissen, das Oma Mathilde bestickt hatte. Der Spruch klang ganz nach ihr. Nur hatte sie sich im Gegensatz zu Herrn Fromm verkniffen, ein Buch mit ihren gesammelten Weisheiten herauszubringen, sondern diese stattdessen lieber ungefragt in der Familie verteilt. Schade, dass sich sowohl meine Mutter als auch ich als beratungsresistent erwiesen hatten. Die arme Frau, es muss sehr frustrierend für sie gewesen sein. Vielleicht hätte sie doch lieber Bücher schreiben sollen.
    Von draußen drangen Stimmen in den Bus, ein schönes Gefühl zu wissen, dass man nicht allein war, besonders nach dem Aufwachen. Wenn ich zu Hause in Hamburg wach wurde, sah ich immer zuerst nach links. Da lag Richard. Und immer machte er genau in dem Moment, wenn ich ihn anschaute, die Augen auf. Es war ein bisschen seltsam und irgendwie auch unwahrscheinlich, dass das jedes Mal zufällig passierte. Aber im Grunde war mir egal, was dahintersteckte, das Erste, was ich jeden Tag erblickte, war mein Freund. Und umgekehrt war ich das Erste, was er sah. Es war eine kleine Sache, die mich aber zuverlässig glücklich machte. Nur war ich mir dessen zu selten bewusst.
    Ich stellte das Buch zurück ins Regal und lehnte mich über die Bettkante hinunter zu meinem Koffer in der Hoffnung, darin ein frisches Kleidungsstück zu finden, das ich mir anziehen konnte, nachdem ich mir mit einer Dusche aus dem Kanister den Dreck vom Körper gewaschen hatte. Doch bevor ich überhaupt dazu kam, den Textilienbestand zu durchforsten, fiel mein Blick auf mein Handy, das oben auf dem Koffer lag, unbeachtet, seit wir am vorherigen Tag vom Strand zurückgekehrt waren. Ohne große Erwartungen studierte ich das Display und sah: Zwölf verpasste Anrufe. Alle von derselben Person. Richard.
    Mein Herz blieb stehen. Es war fast so, als ahnte er etwas. Unwillkürlich sah ich mich im Bus um. Das schlechte Gewissen meldete sich mit aller Kraft. Aber da war auch etwas anderes. Erstens war ich in gewisser Weise beeindruckt, weil unsere Verbindung doch zumindest noch so stark zu sein schien, dass Richard selbst auf diese Entfernung spürte, dass hier unten etwas vor sich ging, das unserer Beziehung den Todesstoß verpassen konnte. Zweitens spürte ich etwas Warmes im Bauch, eine Art Geborgenheit. Es waren nur verpasste Anrufe, aber sie bewiesen, dass Richard zumindest sein Ende des Bandes zwischen uns noch in der Hand hielt. Er bemühte sich. Im Gegensatz zu mir.
    Felix’ Argumente vom Vorabend waren somit hinfällig. Ich fühlte mich beschissen und zufrieden zugleich.
    Das letzte saubere Kleidungsstück aus meinem Koffer (ein gelbes, bodenlanges Strandkleid) in der Hand, öffnete ich die Bustür zum Werkstatthof, über den sich schon langsam die Dämmerung legte. Die lustige Runde am provisorischen Tisch hatte sich um drei Personen erweitert. Lucy und Ana saßen neben Betty und Marco, und neben Lucy hatte ein extrem gut gebauter, südländisch aussehender junger Mann Platz genommen, den ich als Ramon, den Stripper, identifizierte. Bettys Postkarten waren zu einem ordentlichen Stapel zusammengeschoben, der Kugelschreiber lag obenauf.
    Lucy war die Erste, die mich bemerkte. »Daphne! Da bist du ja!«, rief sie begeistert, als hätten wir uns seit Wochen nicht mehr gesehen. Sie legte dem Herrn neben sich, dem mit dem Sixpack, eine Hand auf den muskulösen Oberschenkel, streichelte sanft darüber und deutete auf mich:

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