Im Zweifel suedwaerts
»Ramon? Das ist Daphne.«
Er sah mich an und nickte. Sein freundliches Lächeln offenbarte eine Reihe makellos weißer Zähne. Aber er erwiderte Lucys Berührung nicht. Vielleicht weil es ihm wie Arbeit vorgekommen wäre.
Betty betrachtete mich amüsiert. »Du liebst dieses Kleid wirklich, was, Schätzelein?«
»Ich wollte erst duschen, bevor ich mir etwas Neues anziehe«, erklärte ich.
»Besser ist das.« Betty trank einen Schluck aus ihrem Glas und reichte es mir. Ich probierte vorsichtig – Wasser –, trank es in einem Zug aus und reichte Betty das leere Glas, die es neu füllte und mir wieder in die Hand gab. »Anas Vater war vorhin hier«, erzählte sie währenddessen. »Er muss die Zylinderkopfdichtung und die Pumpe austauschen, dann läuft wieder alles wie geschmiert, sagt er.«
»Aha.« Betty hätte auch über Hedgefonds reden können, davon verstand ich ungefähr genauso viel wie von Kfz-Mechanik. Und für mich war ohnehin nur eine Frage wichtig, die glücklicherweise schnell und unkompliziert zu beantworten sein sollte: »Wie lang soll das dauern?«
»Die Reparatur? Die geht schnell, aber er musste die Teile bestellen, und bis die hier sind, kann es fünf Tage dauern.«
»Fünf Tage?!« Das war zu lange. »So viel Zeit hab ich nicht. In fünf Tagen muss ich ja schon fast wieder im Laden stehen.«
Betty zuckte mit den Schultern. »Sky hat dir doch angeboten, den Rückflug zu bezahlen.«
»Ja, schon …« Aber das wäre dann nichts anderes als die letzte große Sache, die in diesem Urlaub schieflief, der ohnehin schon zu einer haarsträubenden Seifenoper verkommen war. Ein geschenkter Rückflug statt einer gemeinsamen Heimfahrt würde dem Ganzen die Krone aufsetzen. Aber eine Alternative gab es wohl nicht. »Ich geh duschen«, sagte ich resignierend.
»Falls es dich aufheitert«, Lucy schenkte ihrer Eroberung ein Lächeln und mir einen freudestrahlenden Blick, »Ramon hat uns für heute Abend zu einer Open-Air-Tanzveranstaltung am Strand eingeladen, und wir gehen da später alle hin. Das wird ganz lustig.«
»Ich bin leider verabredet …« Ich musste nicht erwähnen, mit wem. Jeder am Tisch wusste Bescheid. Über Bettys Gesicht huschte kaum merklich ein Ausdruck, den ich als genervt interpretierte, eine Sekunde später hatte sie sich aber wie versprochen wieder im Griff. »Vielleicht danach«, vertröstete ich Lucy.
Sie wirkte geknickt. »Okay. Ich schreib dir auf, wo wir sind.«
»Ja, mach das«, sagte ich, schnappte mir einen der Duschwasserkanister, die wir zum Aufwärmen in die pralle Sonne gestellt hatten, und verschwand in einer stillen Ecke des Hofs. Um den Dreck loszuwerden. Und zwar vollständig und ein für alle Mal.
Ich war wild entschlossen. Meine Flip-Flops flappten herausfordernd, als ich schnellen Schrittes die Hafenpromenade von Lagos entlangmarschierte, gegen den Strom von Touristen, der sich aus den umliegenden Hotels in die Bars und Restaurants der Altstadt ergoss. Ich wurde geschubst und vom Weg abgedrängt. Trotzdem gelang es mir immer wieder, Lücken im Menschengefüge zu finden, durch die ich mich schlängeln und so langsam meinem Ziel näher kommen konnte. Felix’ Hotel. Es war fünf vor neun.
Mein Magen drehte sich vor Aufregung wieder und wieder um sich selbst. Dabei hatte ich gedacht, dass sich dieses wirre Gefühl endlich legen würde, wenn ich zu einer eindeutigen Entscheidung gekommen war. Und das war ich.
Wenn man alles, was in den letzten Wochen und vor allem Tagen passiert war, in Betracht zog, war die Antwort auf die Frage, was ich tun sollte, mehr als offensichtlich. Was nicht hieß, dass ich nicht mit mir gerungen hätte, oh, das hatte ich. Ich war alle möglichen Szenarios so oft durchgegangen, dass ich die Augen schließen musste, damit das Chaos meinen Kopf nicht explodieren ließ. Was würde passieren, wenn ich mich endgültig von Richard trennte? Wie würde es mit mir und Felix weitergehen? Würde es überhaupt weitergehen oder würde es wieder so enden wie schon zweimal zuvor: mit einem Ende? Unter der provisorischen Kanister-Dusche war mir etwas eingefallen, das Betty in Biarritz zu mir gesagt hatte: Niemand konnte wissen, was die Zukunft bringt. Und so war es ganz egal, wie intensiv ich versuchte, die Konsequenzen und Ereignisse vorauszusagen, die diese oder jene Entscheidung nach sich ziehen würde, es war nicht möglich.
Das Tröstende daran war, dass es darum jetzt auch gar nicht ging, um die Frage, welche Strategie die schlaueste war. Die
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