Im Zweifel suedwaerts
Rum. Bei dem Anblick wurde mir sofort wieder übel, aber da musste ich wohl durch. War ja schließlich Urlaub.
Im Schatten unter der Tischplatte erspähte ich den Wasserkanister, der mich sofort magisch anzog. Ohne meine Freunde zu begrüßen, bückte ich mich danach, öffnete den Schraubverschluss und trank mit gierigen, großen Schlucken etwa einen halben Liter ohne abzusetzen.
»Die Klamotten von letzter Nacht? Wirre Haare? Unbändiger Durst? Riecht nach Sexfalle, wenn du mich fragst.«
Ich ignorierte Betty fürs Erste und trank weiter.
»Also, ich riech nichts«, erwiderte Marco. Keine Ahnung, ob das helfen sollte.
Ich setzte den Kanister ab, atmete angestrengt aus und ein und setzte mich auf eine Holzkiste, die zufällig in Reichweite herumstand. »Ich dachte, du wolltest dich aus der Sache raushalten, Betty?«
»Das tu ich auch, Schätzelein. Ab jetzt. Aber ich hab mich schon darauf gefreut, den Spruch loszuwerden, seit wir uns gestern verabschiedet haben.« Sie nahm eine der Postkarten vom Tisch und wedelte sich damit Luft zu.
»Verstehe.«
»Ab jetzt verliere ich kein Wort mehr über dich und den lieben Herrn Geistig-Klobig. Versprochen. Stattdessen werde ich hier sitzen und Postkarten schreiben, so wie das jeder gute Tourist tut.« Sie setzte sich demonstrativ auf und malte mit höchster Konzentration Buchstaben auf die Rückseite einer Karte.
»Wem schreibst du?«, fragte ich. »Mo?«
»Nein. Natürlich nicht«, antwortete sie, ohne von ihrer Schreibarbeit aufzusehen. »Ich schreibe meinem Sohn. Eine für jeden Tag, den wir uns nicht gesehen haben.«
Ich stützte meinen Kopf in meine Hände und fuhr mir erschöpft durchs Haar.
Marco streckte seinen Arm aus und legte mir behutsam eine Hand auf die Schulter. »Alles okay?«
Ich lachte trocken. »Alles bestens. Abgesehen davon, dass Felix mir verraten hat, dass er gern wieder mit mir zusammen wäre und ich nicht weiß, was ich denken soll …« Betty ließ ihren Stift fallen. »Außerdem habe ich einen fetten Kater von unserer spontanen Verlobungsfeier. Aber da muss ich jetzt wohl durch.«
»Verlobungsfeier?!« Marco nahm lieber noch einen schnellen Schluck Rum Cola zu sich, bevor er mehr sagte oder fragte.
»Psycho!« Betty spuckte das Wort förmlich vor sich auf den Tisch. Sie sah angewidert aus. »Voll psycho!«
»Ich oder er?«, fragte ich sie.
»Ja«, antwortete sie streng.
»Weißt du was, Betty?« Ich erhob mich müde von meiner Kiste. »Ich glaube, du hast recht.« Die paar Schritte zu unserem armen, fahrunfähigen Bus bekam ich gerade so hin. Jetzt musste ich bloß noch einsteigen, mich ausziehen und hinlegen. Ich öffnete die Schiebetür, kletterte unter großen Mühen in den Bus und stellte noch eine letzte Frage, bevor ich damit begann, meinen alles andere als berauschenden Rausch auszuschlafen: »Wo steckt Lucy eigentlich schon wieder?«
»Am Strand. Mit Ana und Ramon«, informierte mich Marco.
Aha. So war das also. Ana und … »Ramon?!«
»Einer von diesen Gentle Men. Der Bauarbeiter, weißt du noch?«
»Wie könnte ich den vergessen?«, fragte ich tonlos.
Marco quittierte meinen verdutzten Gesichtsausdruck mit einem Lachen. »Na ja, soweit ich weiß, ist sie Single, also warum nicht?«
»Ramon, also …«, wiederholte ich nachdenklich.
Betty schüttelte mürrisch den Kopf und beschriftete eine weitere Postkarte. »Erst die Polen. Dann der Jesus. Und jetzt ein spanischer Stripper. Was mach ich falsch?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht merken die Männer einfach, dass du bereits vergeben bist.«
»Ach, Schätzelein, wie oft soll ich dir denn noch erklären, dass Mo und ich nicht diese Art von Beziehung führen?«
»Ich meine nicht Mo.«
Als Betty ihren Kopf hob und mich stirnrunzelnd ansah, erklärte ich ihr mit einem Nicken in Richtung des Postkartenstapels, worauf ich hinauswollte. Und sie verstand und lächelte milde. Ein feiner Moment, das endgültig gute Ende eines Streits. Ich zog die Bustür hinter mir zu, legte mich auf die Matratze und schlief sofort ein. In meinem Kleid. Natürlich.
Wenn ich erwartet hatte, dass das Schlafen weniger anstrengend als das Wachsein sein würde, hatte ich mich geirrt. Es konnte an dem Kater liegen, mit dem ich mich herumschlug, an der Hitze im Bus oder an allem, was mir gerade durch den Kopf ging: Jedenfalls hatte ich wilde, wirre Träume von einem brennenden Haus, aus dem ich Richard retten wollte, im dichten Qualm aber aus Versehen Felix’ Hand erwischte, und
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