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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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breitete seine Arme aus. Lucy warf sich mit voller Wucht an seine Brust und ließ sich drücken, bis aus dem Drücken ein Quetschen geworden war. Ihr Vater machte Geräusche wie ein Gewichtheber in Aktion. Aus dem Haus rief eine aufgeregte Stimme: »Ist sie da? Ist sie da?«, und wenige Augenblicke später erschien eine kleine, erstaunlich sportliche Frau mit blonder Dauerwelle im Hauseingang. Sie trug einen pinkfarbenen Jogginganzug.
    »Mausezähnchen!«
    »Mami!«
    Lucys Vater reichte seine Tochter weiter an seine Frau, stemmte die Hände in die Seiten und sah vom Eingang zu uns herab. »Und ihr seid dann also Purzelchens Freunde.«
    Betty und ich standen noch immer wie zwei begossene Pudel in seinem Vorgarten, und es regnete weiter heftig, also trieb man das Ganze wohl besser etwas voran. Ich machte einen Schritt auf ihn zu und reichte ihm treppauf die nasse Hand. »Ich bin Daphne. Guten Abend, Herr Kottkewicz. Danke, dass wir so spontan vorbeikommen durften.«
    Er brach mir gefühlte zwei bis drei Finger zur Begrüßung. »Freut mich, freut mich. Aber nicht so förmlich, okay? Ich bin der Mike.«
    »Gut. Mike. Ähm.« Ich hielt ihm die andere Hand hin, die mit den Scherben. »Ich hab aus Versehen Ihren Gartenzwerg kaputt gemacht, befürchte ich.«
    Herr Kottkewicz zog die Augenbrauen hoch und bemühte sich sichtlich um Lockerheit. »Aber das ist ja kein Weltuntergang. Daphne«, sagte er tonlos. Es gab keinen Zweifel: Er war der Zwergsammler in dieser Familie. Und am liebsten hätte er mir die verbliebenen Finger auch noch gebrochen. Absichtlich. So viel zum Thema guter erster Eindruck.
    »Hallo!« Mutter Kottkewicz war mit der Begrüßung ihres einzigen Kindes fertig und streckte mir eine gut manikürte Hand hin. »Ich bin die Monika.« Ihr Blick fiel auf die Scherben in meiner Hand. Sie zog erschrocken die Luft ein. »Ach, du Schreck! Was ist denn das für eine Bescherung?!«
    Vater Kottkewicz nickte zähneknirschend in meine Richtung. Er kämpfte weiterhin stark um Beherrschung. »Daphne hat den Gießkannenzwerg kaputt gemacht.«
    »Aus Versehen!«
    »Na«, Monikas Stimmung war merklich abgekühlt. »Da wollen wir mal keine große Sache draus machen.«
    »Ist ja auch ein Zwerg«, versuchte ich, die Situation mit einem Witz aufzulockern. »Große Sache? Zwerg?« Das kam nicht so gut an. Also lachte ich allein. Kläglich.
    Mikes Blick fiel auf Betty und blieb eine Weile an ihren Dreads hängen. »Und Sie sind?«
    »Betty. Hi!« Sie streckte ihre Hand aus, und Mike und Monika schüttelten sie. Aber eher zaghaft und ein bisschen angewidert. Und nur kurz.
    Als wir endlich ins Haus gelassen wurden, stürmte Lucy voran. »Kommt! Ich zeig euch mein Zimmer!« In der Luft lag der Geruch von vielen vergangenen und dem aktuellen Abendessen, aus dem Wohnzimmer drang das gemütliche Gemurmel des Fernsehers. Die Tochter des Hauses polterte die Treppe hinauf.
    Wir folgten ihr, nachdem wir unter Monikas strenger Beobachtung unsere Schuhe auf einer Plastikunterlage abgestellt hatten, und hörten die beiden Eltern noch murmelnd miteinander reden, als wir die knarrenden Stufen hinaufstiegen. Das Wort Drogen fiel.
    »Es liegt an meinen Haaren«, flüsterte Betty.
    »Natürlich liegt es an deinen Haaren.« Und nicht am Gießkannen-Gartenzwerg. Nein, Nein. »Warum hast du deine Mütze nicht auf?«
    »Schätzelein, das geht jetzt echt zu weit. Ich setz mir doch nicht mitten im Sommer eine Mütze auf, nur weil die Kottkewiczs nichts mit alternativen Frisuren anfangen können. Hast du Monis Dauerwelle gesehen? Die macht mir mindestens genauso viel Angst wie denen meine Dreads. Aber ich kann mich zusammenreißen, das ist der Unterschied.«
    Ich nickte zustimmend, nahm die letzte Stufe und betrat den Raum links vom Treppenabsatz. Lucys Zimmer. An der Wand hing ein Poster von Leonardo DiCaprio.
    Monika Kottkewicz hatte ein spätes, schweres Abendbrot für uns zubereitet, das eine Viertelstunde später in der rustikalen Küche bereitstand. Im Wohnzimmer lief nach wie vor der Fernseher, irgendein Tierfilm, getrocknete Blumensträuße raschelten über unseren Köpfen, und aus geschätzten achthundert Bilderrahmen jeder Form und Farbe sahen uns die Freunde, Bekannten, Verwandten und Ahnen der Kottkewiczs dabei zu, wie wir uns über die überbordenden Teller voller Frikadellen, Kartoffelsalat und Brötchen hermachten. Außerdem gab es noch eine Wurstplatte, die zweifelsohne das komplette Aufschnittsortiment des Kottkewiczen Stammschlachters im

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