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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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helf ich dir eben allein.«
    »Sorry!«, rief ich den beiden über die Schulter hinweg zu, als sie ächzend und stöhnend die beiden größeren Koffer zurück ins Haus trugen. Parallel dazu klappte ich das Telefon auf. »Ja?«
    »Kind!«
    »Mutter!«
    »Bist du schon unterwegs?«
    »Quasi.«
    »Bitte tu mir einen Gefallen und pass gut auf dich auf.«
    »Okay.«
    »Nur abgekochtes Wasser trinken, nimm nichts von Fremden an, lass Betty nicht betrunken Auto fahren, wenn etwas ist, rufst du mich sofort an … Und nicht am Strand übernachten, hörst du?«
    Ich hätte darauf so einiges erwidern können, zum Beispiel, dass ich einunddreißig Jahre alt war und inzwischen sehr gut auf mich selbst aufpassen konnte, aber das hätte weder die Sorgen meiner Mutter zerstreut noch mir Zeit gespart. Mütter diskutierten solche Dinge nicht. Sie ordneten an. Also sagte ich: »Ja, Mutter.«
    »Gut. Und ruf mich an.« Genau dafür fuhr man also in den Urlaub. Um in ständiger telefonischer Verbindung mit seinem Freund und der besorgten Mutter zu stehen. »Und Daphne?«
    »Ja?«
    Betty kam aus Lucys Treppenhaus und verdrehte die Augen, als sie mich sah. Ich formte mit den Lippen eine lautlose Entschuldigung.
    »Da gibt es etwas, was mich ein wenig wundert.«
    Ich war abgelenkt von Betty, die unter größter Anstrengung Lucys dritten Koffer vom Boden aufhob und ins Haus trug. »Ach ja?«, fragte ich abwesend und strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. Es war wirklich warm. Ausgerechnet jetzt. Wir verließen die Stadt, und der Sommer kam.
    »Die Torte.«
    Ich verschluckte mich und musste husten. »Torte?«
    »Wir hatten eine vierstöckige Torte für das Bankett bestellt, Daphne. Jetzt sehe ich mir die Fotos von der Hochzeit an, und ich weiß nicht, wie das passieren konnte … Es ist mir an dem Abend selbst gar nicht aufgefallen, aber, Daphne … glaub es oder nicht: Da fehlte ein Stockwerk.«
    Die nostalgische Vorliebe meiner Mutter, von Bildern Abzüge zu bestellen und ihr absolutes Unverständnis für Digitalfotografie hatten mir also, ohne dass es mir klar gewesen war, eine Galgenfrist beschert, die jetzt wohl abgelaufen war. »Das kann doch gar nicht sein …«
    »Aber es ist so. Du weißt nichts darüber? Hast du dich vielleicht bei der Bestellung vertan?«
    Fahrig fummelte ich an einem Gurt meines Rucksacks herum. Einrollen. Aufrollen. »Ich?! Nein?«, quetschte ich heraus.
    »Gut. Dann ruf ich gleich bei dem Konditor an und beschwere mich. So dreist bin ich noch nie über den Tisch gezogen worden. Auf meiner eigenen Hochzeit auch noch, das muss man sich mal vorstellen!«
    »Ach …« Ich überlegte fieberhaft, ich wollte etwas Beschwichtigendes sagen. »Aber es sind doch alle satt geworden. Oder?«
    »Darum geht es nicht.«
    Nein. Darum ging es nicht.
    Sommer hin oder her. Es hatte noch nie einen besseren Grund gegeben, für ein paar Wochen die Stadt zu verlassen.
    Als Betty und Lucy fünfzehn Minuten später mit einem Koffer und einer Reisetasche wieder aus dem Haus kamen, saß ich hinten im Bus und kaute auf meiner Unterlippe. Ich fühlte mich, als hätte ich ein abscheuliches Verbrechen begangen. Das perfekte Verbrechen zwar, für das ich nie ge schnappt werden würde. Aber ich wusste, dass mein schlechtes Gewissen mich mein Leben lang verfolgen würde. Und der Umstand, dass wir die Leiche quasi mit in den Urlaub nahmen, war mir alles andere als angenehm.
    »Was ist denn passiert, Schätzelein?« Betty wuchtete Lucys Koffer an mir vorbei in den Bus. Seine Besitzerin blieb auf dem Gehweg stehen und richtete einen schmollenden Blick auf ihre rosa lackierten Zehennägel.
    Mit einem Seufzen erhob ich mich von meinem Platz und winkte ab. »Nichts Ernstes«, sagte ich. »Aber wir müssen diese Torte so schnell wie möglich verschwinden lassen. Ich empfinde ihre Anwesenheit als echte Belastung.«
    Betty nickte verständnisvoll. »Geht mir genauso. Stell dir vor: Sie wollte partout ihr Glätteisen und den Föhn mitnehmen. Mit Aufsätzen!«
    »Ich kann das alles hören!«, maulte Lucy aus einem Meter Entfernung.
    »Betty, Lucy ist nicht die Torte, die ich gemeint habe.«
    »Ich aber schon, Schätzelein, ich aber schon.« Während ich auf den Beifahrersitz kletterte, machte Betty eine einladende Bewegung in Richtung Schiebetür. »Hüpf rein, Lucinda. Das Meer wartet.«
    »Na, toll.« Ich hatte Lucy selten so aufmüpfig erlebt. Aber frisch Getrennten musste man ja bekanntlich so einiges nachsehen. »Meer ohne Glätteisen. Sobald

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