Im Zweifel suedwaerts
hätte schwören können, dass das kleine Frikadellenstückchen waren, die da auf meinem Handrücken gelandet waren.
Vater Kottkewicz schlug mit der Faust auf den Tisch. »Dieser miese …« Er wies mit erregt ausgestrecktem Arm auf ein grün gerahmtes Foto neben dem Kühlschrank. »Und von dem haben wir ein Bild an der Freunde-Wand hängen!« Es war wohl bei einem Familienfest der Kottkewiczs entstanden. Lucy und Hannes saßen an einem Tisch, vor ihnen bunte Plastikbecher und Pappteller mit Würstchen drauf, von hinten umarmte sie Mike Kottkewicz, einen Arm um Hannes und einen um seine Tochter gelegt. Hannes lächelte starr. In seinen Augen war der blanke Horror zu erkennen.
Monika zog Lucy an sich heran und wiegte das weinende Kind in ihren Armen hin und her. »Alles wird gut …«
»Es tut so we-eh-eh …«
Herr Kottkewicz erhob sich vom Küchentisch. »Jetzt kommt erst mal das Foto von diesem Scheißtyp von unserer schönen Wand.«
»Nein, Papi!« Lucy befreite sich aus dem Klammergriff ihrer Mutter.
Monika schnalzte mit der Zunge. »Ach, mein armes Mausezähnchen …«
»Vielen Dank für das Abendessen. Sehr lecker.« Betty stand ebenfalls von ihrem Platz auf und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ich bin dann mal draußen im Bus und telefonier mit meinem Sohn.«
Kein Kottkewicz reagierte, sie hatten größere Sorgen als das Mädchen mit der verdächtigen Frisur. Das war gut, denn es bedeutete, dass auch ich unbemerkt vom Tisch aufstehen und mir ein ruhiges Fleckchen suchen konnte, um von dort aus Richard anzurufen. Eigentlich hatte ich das gar nicht vorgehabt, nicht sofort am ersten Abend. Aber so, wie die Dinge standen, mit Moni und Mike und den Frikadellenstückchen auf meiner Haut, war der Gedanke an ein Gespräch mit meinem Freund wie Balsam auf meiner aufgewühlten Seele. Ich hätte sofort einen weiteren Streit mit Richard über den Zustand unserer Wohnung gegen dieses gartenzwergumstellte Vorstadtdrama eingetauscht. Doch für den heutigen Abend würde es wohl bei Remscheid bleiben, bei Remscheid und einem Telefongespräch. Und da Betty sich bereits den Bus als Rückzugsort gesichert hatte, blieb mir nur der Platz auf Lucys Bett, unter dem schmachtenden Blick eines sehr jungen Leonardo. Ich war nie Fan gewesen, sonst hätte ich jetzt sagen können: Es war wie früher.
»Ja?«
»Ich bin’s.«
»Na?«
»Ja … äh … na?« Es raschelte und rumpelte da, wo Richard war. Ich versuchte anhand der Geräusche zu erraten, an welchem Platz in unserer Wohnung er sich befand. Ich tippte auf die Küche. »Machst du dir was zu essen?«
»Ja.«
Was den Informations- und Spaßgehalt dieser Unterhaltung betraf, fühlte ich mich in den Erdkundeunterricht der achten Klasse zurückversetzt. »Was gibt es denn?«
»Brot.«
Ich stöhnte frustriert. »Mann, Richard!«
»Was denn?«
»Erst soll ich dich unbedingt anrufen, und jetzt mach ich das, und du bist so.«
»Wie? So?«
»Wortkarg.«
»Find ich nicht.«
»Ich aber schon.«
»Also, Daphne, es tut mir ja leid, dass du mehr erwartet hast, aber ich hab Hunger und bin müde. Ich ess jetzt schnell noch was, und dann geh ich pennen.«
»Gut. Dann sag das doch.« Ich klang gereizt. War ich auch. Wo blieb der Balsam auf meiner Seele? »Du freust dich echt gar nicht, dass ich anrufe, oder?«
»Doch. Klar.« Offensichtlich ungefähr so sehr wie über Herpes.
»Dann ruf ich dich eben nicht mehr an.«
»Ich hab doch gesagt, dass ich mich freue.«
»Aber du hast es nicht so gemeint.«
»Ach ja, nee, richtig. Hatte ich ganz vergessen, dass du ja immer besser als ich weißt, was ich meine.«
»Das hab ich gar nicht gesagt.« Interessant, welche zerstörerischen Kräfte dieses Telefonat innerhalb einer Minute entwickelt hatte. Interessant und schrecklich zugleich. Ich warf Leonardo einen verzweifelten Blick zu. Ein Zeitsprung zurück wäre jetzt gut. Eine zweite Chance. Aber er konnte mir nicht helfen. Er war nur ein Poster. »Ich weiß überhaupt nicht, was du meinst. Das ist ja das Problem.«
»Eben. Deswegen geht es mir auch so auf die Nerven, wenn du so tust, als wüsstest du es.«
Er schwieg.
Ich schwieg.
Im Erdgeschoss heulte Lucy.
Die dumpfe Stimme im Fernsehen erklärte: »Stockenten sind Nestflüchter. Jedoch beschützen die Alttiere ihre Jungen während der Aufzucht mit allen Mitteln.«
Mein Freund schwieg noch immer.
»Alter! Richard!«, entfuhr es mir.
Richard seufzte. »Wir können ja morgen noch mal telefonieren.«
»Ja.
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